OHNE SCHLÜSSEL
: Der Nachbar

Draußen regnete es natürlich

Scham und Schande lagen bei mir. „Du hast neulich im Treppenhaus ziemlich rumgeflucht, was war denn los?“ Erschrocken schaute ich in das fremde Gesicht des Typen vor mir, hier in der Schlange beim Stammkiosk. „Sie wohnen bei mir im Haus?“ Offensichtlich. „Ich hatte mich ausgesperrt.“

Ich beeilte mich, mein schlechtes Gesichtergedächtnis mit einem umfassenden Bericht auszugleichen. Tatsächlich hatte ich in der Sekunde die Wohnungstür zugemacht, in der ich merkte, dass ich nur den Kellerschlüssel in der Hand hielt. Und sonst nichts. Ich stand da, in Hausschuhen, keine Jacke, kein Telefon, kein Geld, kein Wohnungsschlüssel, und hatte dann erst mal eine Weile lang rumgeflucht. Bis mir Plan B einfiel.

Es gab einen Ersatzschlüssel, weil es einen Mitbewohner gab, der mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade in einer Bar arbeitete. Also hieß es, mit dem Taxi hin und zurück. Draußen regnete es natürlich. Taxi war erst einmal nicht aufzufinden. In der Galerie an der Ecke saßen drei, vier naturentspannte Gestalten, keiner kannte eine Taxirufnummer. „Fünfmal die 2, zweimal die 5“, fiel mir dann selbst ein. Oder war es umgekehrt? Egal, eine nette Dame lieh mir ihr Mobiltelefon, und ich hatte prompt die kostenpflichtige Nummer einer Kartenlegerhotline an der Strippe. Die richtige Nummer war über ihren Anbieter nicht erreichbar.

Ich flüchtete in besagten Kiosk, wo einer der Gäste mir ein Taxi rief – das auch zwei Minuten später vor der Tür stand. Ich hatte einen Taxifahrer erwischt, der sich die Zeit nahm, großräumig durch die Stadt zu fahren, sich für meine Geschichte aber nicht weiter zu interessieren. „Ist mir auch schon öfter passiert.“ Dann aber ging alles gut – ich sprang in die Bar, lieh mir das Geld fürs Taxi und kam mit Mitbewohners Schlüssel wieder in die Wohnung. Der Typ im Kiosk wohnt übrigens gleich gegenüber.

RENÉ HAMANN