Verunsicherung wuchert gehörig

ABWÄGEN Im Schabernack der Rollenzuschreibungen: Die Dramatikerin Ingrid Lausund liest ihren Monolog „Bin nebenan“ im Theater o.N. in Prenzlauer Berg

Alles stimmt. Die Lage. Der Blick ins Grüne. Hohe Decken und viele Fenster. Die ideale Wohnung. Nichts stört. „Ich bin so gern im Wohnzimmer“, beschwört die junge Frau das Bild, das sie dem Leser von diesem idealen Haus ausmalt. Mit Sofaecke, mit Echtholzparkett, mit dimmbaren Glühbirnen überall. Je mehr sie aber aufzählt, desto mehr Zweifel scheinen sich darunter zu mischen. Als sei das nur eine manische Ordnung, ein Einrichten gegen eine Angst, die im Unterton vernehmbar lauter wird.

„Bild“, „Fernseher“, „Teekanne“, „Globus“ – nach Einrichtungsgegenständen hat die Theaterautorin Ingrid Lausund die zwölf Texte in „Bin nebenan – Monologe für zuhause“ benannt. Die Menschen erlebt man in diesen Geschichten in Räumen. Sie wohnen, aber nur wenige scheinen zu wissen, wie das geht. Ein Möbelhauskunde überlegt sich, ob er dem Zielgruppenraster lieber entkommen oder erliegen soll. Eine Frau lässt sich ein heißes Bad einlaufen und macht die Probe aufs Exempel, ob sich ein Zugewinn an Bequemlichkeit auch aufs Wohlbefinden niederschlägt.

Das Prinzip des ständigen Abwägens und Abklopfens von Pro und Contra kennt man aus Lausunds Theatertexten, die sie zwischen 2001 und 2005 in Hamburg auch selbst inszeniert hat, als Tom Stromberg dort am Schauspielhaus Intendant war. „Der Weg zum Glück“ zum Beispiel dekliniert das Verhältnis des Einzelnen zum höheren Schicksalsgefüge durch. Ein Text, den der Schauspieler Bernd Moss schon in Hamburg spielte und der seit einigen Wochen nun in Berlin am Deutschen Theater läuft. Moss ist an diesem Abend ständig in Bewegung, immer am Gehen, ein Abwandern des Raums wie der großen Fragen, die Lausund-typisch mit Witzen aufgelockert sind.

Auch die Monologisierer in „Bin nebenan“ verstricken sich im Gemisch aus Denken, Handeln, Sprechen, stets überlegend, welche Konsequenzen ihr Handeln hat. Dringt von außen eine Nachricht zu ihnen durch, entfaltet sich ein Spiel mit den Möglichkeiten. Der Familienvater in „Haus“ erfährt, dass der Kredit fürs Eigenheim gekündigt wird und fantasiert die Optionen durch: vom inszenierten Selbstmord, um die Lebensversicherung zu kassieren, bis zur aufmüpfigen Geste, es denen da oben schon zu zeigen.

Unruhiger Nachtschlaf

Man mag ihn als mittelständischen Angestellten nicht unbedingt für einen Wiedergänger von Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“ halten, aber ein fiebrig-brüchiger Gedankenfluss treibt auch diese Figur, die zwischen Eigen- und Fremdanspruch getrieben ist, aber am Ende statt sich zu vergiften in unruhigen Nachtschlaf fallen wird. Wenn Lausund noch weitere Figuren in die Geschichten holt, profitiert der Text von ihrer Fähigkeit, in schnellen Dialogen Situationskomik aufzubauen. Nicht jede Geschichte wirkt gleichermaßen relevant.

Am schönsten ist die von der Frau, die eine türkische Nachbarin als Putzfrau engagiert und sich nun im Umgang übt. Sie lädt Ayse zum Teetrinken ein und weiß nicht, wie man vom Teetrinken wieder abkommt. Dann putzt Ayse zusammen mit ihrer Tochter, die verwirrenderweise immer dann ein Kopftuch trägt, wenn die Mutter gerade keines hat. Im Schabernack mit den Rollenzuschreibungen, den Lausund hier betreibt, steckt auch der Aufruf, die allzu eingeübten Muster aufzugeben und eigene Haltungen zu entwickeln.

SIMONE KAEMPF

■ „Bin nebenan – Monologe für zuhause“. Leseperformance von und mit Ingrid Lausund, Theater o.N., Kollwitzstraße 53, heute und morgen, jeweils 20 Uhr