Halt einfach unkaputtbar. Rockbands aus ostdeutscher Fertigung, beispielsweise Engerling und Keimzeit

Seien wir ehrlich: Die größte DDR der Welt erreichte in nur wenigen Bereichen das eigentlich angestrebte Weltniveau. Heute allerdings darf man feststellen: Kein anderes Land der Welt fertigte offensichtlich so stabile Rockbands. Während kaum noch ein Wartburg herumfährt, touren Puhdys (42 Jahre), City (38), Karat (36) und Silly (33) immer noch mit großem Erfolg durch die Lande. Aber nicht nur die ehemaligen Staatsrocker sind weiter tapfer unterwegs, auch die zweite Reihe kommt nicht zur Ruhe. So werden Keimzeit dieses Jahr immerhin auch schon 31 Jahre alt, und Engerling feierten vergangenen November gar ihren 35-jährigen Geburtstag mit einem Konzert im Kesselhaus der Kulturbrauerei.

Die das Ereignis dokumentierende Doppel-CD „35 Jahre Engerling – Das Jubiläumskonzert 2010“ weist nun nach: Das Aushängeschild der einst von der Staatssicherheit scheel angesehenen Blueser-Szene hat sich in seiner langlebigen Bandexistenz allerhand mehr als nur den Bluesrock angeeignet. Zur musikalischen Vielfalt mag eine lange Gästeliste mit ostdeutscher Musikprominenz beitragen, die vom mit Schifferklavier bewaffneten Hans-Eckhardt Wenzel über Knorkator-Sänger Stumpen bis zu Lutz Kerschowski reicht, der sich zuletzt eher als Nachlassverwalter von Rio Reiser engagierte.

So klingen Engerling über weite Strecken erstaunlich lebendig: Das Boogie-Piano hüpft, die Gitarren sind solide verdreckt und die Rhythmusgruppe immer auf dem Punkt. Als Werkschau allerdings ist die Konzertaufnahme trotzdem nicht geeignet, weil die originalen Engerling-Songs oft zurückstehen müssen zugunsten allzu vieler Coverversionen. Die sind von den Beatles, Rolling Stones oder Taj Mahal, mal gelungen und mal eher überflüssig. Am deutlichsten wird das mit Bob Dylan, der gleich zweimal zu Ehren kommt: „Tangled Up in Blue“ funktioniert ganz prima, während die 492.637ste Interpretation von „Like a Rolling Stone“ nun wirklich niemand mehr braucht. Dafür dauert diese hier fast 13 Minuten.

Ausdrücklich als Werkschau angelegt ist dagegen „Land in Sicht“. Auf zwei CDs versammeln Keimzeit die wenigen, aber dafür größten Hits aus ihrer nun auch schon eine geraume Zeit währenden Bandgeschichte, ergänzen sie mit einer Songauswahl aus dem vergangenen Jahrzehnt, ein paar Liveaufnahmen, der letzten Single „Leuchte, leuchte, Leuchtturm“ und schließlich vier bislang nicht erhältlichen Stücken aus ihren frühen Tagen. Die eigentliche Sensation ist, dass sich unter den neu eingespielten Hits auch „Kling Klang“ befindet, das zu spielen sich Sänger Norbert Leisegang jahrelang geweigert hatte.

Die Versöhnung mit dem eher untypisch locker-flockigen Stück, dessen One-Hit-Wonder-Erfolg die Band nie glücklich gemacht hat, verschafft uns auf „Land in Sicht“ eine recht entspannte, vor allem endlich einmal im Vergleich zum schütteren Original schön satt klingende Version dieses unkaputtbaren Klassikers, der nun auch schon ungefähr ein Vierteljahrhundert alt ist. THOMAS WINKLER

■ „35 Jahre Engerling – Das Jubiläumskonzert 2010“ (Buschfunk), live am 5. 2. im Seebad Friedrichshagen, Müggelseedamm 216

■ Keimzeit: „Land in Sicht“ (Comic Helden/Edel)