Barbara Dribbusch über GERÜCHTE
: Jeder braucht seinen Rattenhebel

Bachblüten, Ayurveda und Homöopathie wirken nicht, sagen Studien. Doch was soll’s? Ich habe da so eine Theorie

Ich geb ja zu, dass dieser Kauf ein bisschen zweifelhaft war. Mehr als sechs Euro für „Original Notfall Bonbons“ aus Bachblütenextrakten. Die Minidosen mit den Gummibonbons gab es am Tresen meiner Apotheke. Beruhigend und ausgleichend sollen die Pastillen wirken. Hatte mir Theresa zuvor erzählt. „Sabine schwört drauf“, meint Theresa, als ich von meinem naturheilkundlichen Neuerwerb berichte. Wir joggen zu dritt um den Schlachtensee. Es ist ein trüber Tag.

„Bachblüten“, schnaubt Britt, „hab ich erst neulich wieder gelesen, dass das Zeug nicht wirkt. Genauso wenig wie die Homöopathie. Aber Sabine glaubt ja auch an die Wiedergeburt.“ Typisch Britt: Immer ehrlich sein mit ihren Freundinnen. Manchmal ist das nervtötend. Theresa fühlt sich herausgefordert. „Was heißt hier ‚wirken nicht‘?“, sagt sie, „die Schulmedizin mit ihrer Wirksamkeitsforschung! Doppelblindstudien! Schon das Wort sagt ja wohl alles. Von meiner letzten Antibiotikabehandlung habe ich übrigens Pilze bekommen. So viel zur Schulmedizin.“

Ich sage nichts, sondern patsche durch eine Pfütze. Wie ein Kind. Irgendwie war gestern einfach so ein Tag, an dem ich mir was Gutes tun wollte. Früher, vor 25 Jahren, bin ich an düsteren Tagen losgegangen und habe mir einen Pulli gekauft, der mein Leben verbessern sollte. Heute glaube ich nicht mehr, dass Pullis was verändern. Also habe ich bei den Bachblüten-Bonbons in der Apotheke zugegriffen. War im Vergleich zu Klamotten sogar billiger.

„Also die evidenzbasierte Medizin kannst du nicht mehr ignorieren“, sagt Britt, die die Pfützen sorgfältig meidet, „mit diesem Esoterikzeugs wird doch gerade den Frauen im mittleren Alter das Geld aus der Tasche gezogen. Ayurveda! Alles Modekram.“ Aber Theresa ist heute gut in Form: „Guck dir mal die hunderte von Psychobüchern über Führungsstrategien an. Auch Modekram. Männlicher. Und dann das Gelaber in der Politik, von wegen, dass dieses oder jenes gemacht werden müsste, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Unbewiesene Kausalitäten. Magisches Denken.“

Ich fühle mich plötzlich leichter. Meine Notfall-Bonbons haben immerhin keine Nebenwirkungen. Und ich will sie auch niemandem aufdrängen. Dafür waren sie zu teuer. Man soll übrigens nicht zu viel davon verzehren. Wirkt abführend.

„Jeder braucht irgendwelche Glaubenssysteme“, fährt Theresa fort, während wir um die Nordkurve des Schlachtensees biegen. Der Wind bläst uns ins Gesicht. Erfrischend. Mir fällt ein Experiment mit Ratten ein. Man sperrte die Tiere in einen Käfig und setzte sie Stromschlägen aus. Unter Betätigung eines Hebels konnten sie die Stromschläge unterbrechen. Verständlicherweise drückten sie nur noch an dem Hebel herum. Dann setzte man eine erste Gruppe dieser Ratten in einen Käfig mit Stromschlägen, aber ohne Hebel. Eine zweite Gruppe landete in einem Käfig mit Stromschlägen und Hebel, allerdings hatte die Betätigung des Hebels keinerlei Auswirkungen mehr. Die zweite Gruppe drückte trotzdem weiter an dem Placebo-Hebel herum und zeigte allein dadurch erheblich weniger Stresssymptome als die anderen. Die Tatsache, dass man irgendwie handeln, irgendwas tun könne, verringere immer das Stresslevel, folgerten die Forscher.

„Jeder braucht seinen Rattenhebel“, sage ich. Und war es nicht erlösend gewesen, neulich, als ich erschöpft auf dem Zahnarztstuhl lag und mir meine russische Zahnärztin sagte: „Sie müssen etwas für Ihr Immunsystem tun. Kaufen Sie Lachsöl-Kapseln mit ungesättigten Omega-3-Fettsäuren. Hat mir toll geholfen.“ Noch heute liegt eine angebrochene Packung Lachsöl-Kapseln bei mir herum.

Wir sind keuchend am Parkplatz angekommen. Joggen wirkt ja gegen trübe Stimmung. Das ist übrigens erwiesen. Die Endorphine und so. „Wollt ihr jetzt meine Notfall-Bonbons probieren oder nicht?“ frage ich. „Okay, wenn sie nicht dick machen“, sagt Britt. Die Dinger schmecken übrigens wie Gummibärchen. Und die haben schon in meiner Kindheit geholfen.

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