Die Bundeskanzlerin im Atom-Spagat

Wie Angela Merkel (CDU) sich gleichzeitig für und gegen den Ausstieg aus der Kernenergie ausspricht

BERLIN taz/rtr/ap ■ Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt in der Frage des Atomausstieges auf Schlingerkurs. „Ich bin vertragstreu an dieser Stelle“, sagte sie gestern nach einer Sitzung des Kabinetts. Gleichzeitig warnte sie aber vor „Denkverboten“. Die Folgen des Ausstiegs aus der Kernenergie für den Energiemix müssten diskutiert werden.

Mit diesem verbalen Spagat versuchte Merkel zwei unterschiedliche Äußerungen zum Thema zu überbrücken. Vor einer Woche hatte sie noch gesagt, es nütze nichts, „jeden Morgen einmal“ über den im Koalitionsvertrag vereinbarten Konsens zu sprechen. Daran hielt sie sich selbst fünf Tage. Nach dem Stopp der Öllieferungen aus Russland (siehe Text oben) dachte sie laut nach: „Man muss sich auch überlegen: Was für Folgen hat es, wenn wir Kernkraftwerke abschalten?“

Das war eine Steilvorlage für alle, die schon lange am Atomausstieg rütteln. So wie der Bundesverband der Deutschen Industrie, der gestern ein „Kernkraft-Initiative“ von der Bundesregierung forderte. Und auch die CSU stimmte mit ein. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) müsse zumindest die Übertragung von Laufzeiten genehmigen, wenn ein Kernkraftwerk alle Sicherheitsanforderungen erfülle, verlangten die CSU-Bundestagsabgeordneten gestern in Wildbad Kreuth. Ein rascher Verzicht auf Atomenergie würde die Abhängigkeit von Importen erhöhen, die Strompreise in die Höhe treiben und den Klimawandel verschärfen.

„Ich sehe im Koalitionsvertrag kein unüberwindbares Hindernis, zu flexibleren Lösungen zu kommen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Die Vereinbarung zum Atomausstieg sei zwar eindeutig, aber einzelne Punkte könnten auch nicht voll oder anders umgesetzt werden oder mit allen Partnern komplett verändert werden.

Gabriel widersprach gestern. Die Regierung könne den Ausstiegsbeschluss nicht revidieren. Dies wäre Sache des Bundestages, wo es keine Mehrheit dafür gebe. Er gehe davon aus, dass Merkel nicht an der Entscheidung der rot-grünen Vorgängerregierung rüttle. Ein Verzicht auf die Atomkraft führe keinesfalls zu Versorgungsengpässen. Öl und Strom hätten nichts miteinander zu tun. step