Gegen die Großen

Brüssel will die Macht der Konzerne beschneiden und mehr Wettbewerb im Energiemarkt ermöglichen. Das passt den Stromkonzernen gar nicht. Umweltschützer sind mit den Klimaschutzzielen der Kommission unzufrieden

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Selten schlägt José Manuel Barroso so klare Töne an wie dieses Mal. Die Zerschlagung der großen Energieversorger in Produzenten und Netzanbieter sei „die klare Präferenz“ der EU-Kommission, sagte Barroso gestern in Brüssel. Gemeinsam mit seinen Kommissaren für Energie und Umweltschutz, Andris Piebalgs und Stavros Dimas, stellte er das lange erwartete Energiepaket vor. Die insgesamt 12 Dokumente sollen als Grundlage für eine gemeinsame europäische Energiepolitik dienen, die die klimaschädlichen Emissionen reduzieren und die Staatengemeinschaft unabhängiger machen soll von den Energielieferungen zum Beispiel aus Russland.

Ob es aber gelingen wird, eine EU-einheitliche Energiepolitik zu finden, ist mehr als fraglich. Umstritten ist vor allem die Trennung von Energieproduzenten und Netzbetreibern. Paris und Berlin haben schon vor der Bekanntgabe des Papiers ihren Widerstand angemeldet. „Auf Deutsch heißt das Enteignen“, meint der energiepolitische Sprecher der CDU-CSU-Gruppe im EU-Parlament Herbert Reul.

Die EU-Kommission verspricht sich von der klaren Trennung einen besseren Wettbewerb auf dem Energiesektor und damit auch niedrigere Strompreise für die Endverbraucher. Wettbewerbskommissarin Nelie Kroes kündigte darüber hinaus weitere, härtere Wettbewerbsregeln an. Eine umfassende Untersuchung der Kommission habe gezeigt, dass die Energieriesen nach wie vor den Markt beherrschen und die Preise in die Höhe treiben. „Dieser Bericht dürfte für viele Energiegesellschaften eine unerfreuliche Lektüre sein“, sagte Kroes. „Zu geringe Investitionen – vor allem in die Netze – sind weit verbreitet, und die Verbraucher sind die Leidtragenden.“

Strittig ist auch die Schaffung eines Superregulators für den EU-Energiemarkt. Die Kommission wünscht sich eine solche neue Behörde, vor allem um die grenzüberschreitenden Geschäfte im Energiemarkt zu kontrollieren. Die Mitgliedstaaten sind hier eher zurückhaltend und wollen die Kontrolle in der Hand behalten. Unklar ist zudem, wie ein solcher EU-Regulator aussehen könnte. Denkbar wäre zum Beispiel eine Art Agentur, wie sie bereits für Lebensmittelsicherheit, Umweltfragen oder Grenzschutz existiert.

Bei der Aufregung über die Neuordnung des Marktes gingen die neuen Klimaschutzziele, die die Kommission ebenfalls vorstellte, fast unter. Die Behörde schlägt den Mitgliedstaaten eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 20 Prozent gegenüber dem Ausstoß von 1990 vor und bleibt damit hinter dem ursprünglich erwarteten Ziel von 30 Prozent zurück. Nur falls es ein neues weltweites Klimaabkommen – also einen Kioto-Folgeprozess – gibt, will die EU doch um 30 Prozent reduzieren. Europa verursacht 15 Prozent der weltweit produzierten Treibhausgase.

Bei erneuerbaren Energien setzt die Kommission klare Ziele: Ihr Anteil an der Stromerzeugung soll bis 2020 auf 20 Prozent erhöht werden. Bislang hat dieses Ziel nur Dänemark erreicht, Deutschland liegt bei knapp 14 Prozent. Bei Fahrzeugkraftstoffen soll der Anteil von Biosprit bis 2020 auf 10 Prozent steigen. Hier liegt Deutschland mit einer Quote von 3,75 Prozent in Führung. Durch eine Effizienzrevolution sollen zudem 20 Prozent Energie eingespart werden.

Für Kommissionspräsident José Barroso ist der Plan „das ambitionierteste Ziel, das es jemals auf der Welt gegeben hat“, doch Umweltschützern gehen die Vorschläge der Kommission nicht weit genug. Die Grünen im Europaparlament sprachen von einem „armseligen“ Papier, das der Vorreiterrolle der EU in keinem Falle gerecht wird. „Die 20 Prozent Reduzierung werden nicht ausreichen, um die Klimaerwärmung zu bremsen“, sagt auch Jan Kowalzig von Friends of the Earth Europe. Außerdem kritisieren die Umweltschützer, dass es jedem Mitgliedstaat überlassen bleiben soll, wie er die Klimaziele erreichen will. „Wir werden also auch weiterhin keine europäische Koordinierung haben. Und dabei ist es genau das, was wir eigentlich brauchten“, so Kowalzig.

Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Atomenergie. „Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie die Atomenergie nutzen wollen oder nicht. Wir mischen uns da nicht ein“, sagte Kommissionspräsident Barroso. Allerdings unterstreicht die Kommission die Vorteile der Atomkraft – zum Beispiel die vermeintlich geringen Kosten und die CO2-Armut der Produktion. Außerdem fließen in den kommenden sechs Jahren 2,7 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt in die Atomforschung. „Wir werden nie eine Antiatompolitik in der EU bekommen, solange Frankreich Mitglied ist“, bemerkt Klimaschützer Kowalzig dazu.

Nun liegt es vor allem an der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, bis zum EU-Gipfel im März einen Kompromiss zu erarbeiten, dem alle Staaten zustimmen können. In Brüssel rechnet man mit komplizierten Verhandlungen.