Jukebox

David Bowies Vorgriffauf die Achtzigerjahre

Vor ein paar Tagen ist David Bowie sechzig Jahre alt geworden. Obwohl er – abgesehen von einigen befremdlichen Eskapaden (sein gruseliges Band-Projekt Tin Machine; Soloalben, die nicht besser waren; Fönfrisuren; selbst designte Tapeten) – in den späten 80er-, frühen 1990er-Jahren nie richtig peinlich wurde, muss man auch als alter Fan zugeben: Es ist inzwischen genau 30 Jahre her, dass Bowie eine wirklich großartige Platte gemacht hat.

Anfang 1977 erschien „Low“, das erste und wohl stimmigste Album seiner Berlin-Trilogie. Der große Hit dieser Schaffensphase gelang ihm zwar erst mit „Heroes“, ein Album später, doch steckt „Low“ voller kleiner Hits – ein vielschichtiger und nachhaltiger Vorgriff auf die 80er-Jahre. Auf der ersten Albumhälfte glänzen futuristische Pop-Perlen, die B-Seite ist kühl, melancholisch und instrumental. Trotz des breiten atmosphärischen Spektrums wirkt die Platte wie aus einem Guss. Bowies Plattenfirma war über deren depressiven Grundton angeblich so schockiert, dass sie das Album extra nicht vor Weihnachten veröffentlichte.

In den vorangegangenen Jahren hatte sich Bowie in einem Tempo immer wieder neu erfunden, das nicht nur seine Fans, sondern vermutlich auch ihn schwindeln ließ. 1976 war er dann von Los Angeles nach Berlin gezogen, um ein paar Drogen weniger zu nehmen und auch mal selbst in den Supermarkt zu gehen. Er musste die Dämonen seines Ruhmes loswerden. Das gelang ihm mit „Low“ auf fast diskret anmutende Weise. In seiner Stimme fehlt jegliches Pathos. Fast monoton singt Bowie über verfremdete Gitarren und mal schrille, mal zirpende Synthesizer. Obwohl Drama zu seinem gesanglichen Repertoire gehört, funktioniert diese Zurückgenommenheit erstaunlich gut – und klingt in Kombination mit der elektronisch inspirierten Musik poppiger, als es die düstere Programmatik des Albums nahe legt. Bowie singt über ein Leben, das sich im Kreis dreht („Always Crashing In The Same Car“) und hinter zugezogenen Vorhängen („Sound and Vision“) abspielt. Die Resignation, die „Low“ ausstrahlt, trägt trotzdem so viel Gelassenheit wie Melancholie in sich. Wohl wegen dieser Balance mag man die Platte auch heute noch hören. Draußen polterte vor 30 Jahren Punk durch die Stadt. Drinnen, hinter zugezogenen Vorhängen, bereitete Bowie dessen Erben musikalisch den Weg. Stephanie Grimm