Das letzte Aufgebot

Präsident Bush sucht sein Heil in der Offensive. Als Erstes soll Bagdad befriedet werden. Seine Generäle sind dagegen

Ein Abzug würde „dieses Land auseinanderreißen und zu massenhaftem Tod führen“, meint Bush

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

US-Präsident George W. Bush will den anhaltenden Aufstand im Irak mit mehr Truppen und verstärkter Aufbauhilfe niederschlagen. Vier Jahre nach Beginn des Krieges kündigte er in der Nacht zum Donnerstag in einer Fernsehansprache eine Änderung der bisherigen Strategie an. Erstmals bekannte sich Bush dabei zu Fehlern in der Irakpolitik: „Wo Fehler gemacht wurden, liegt die Verantwortung bei mir.“

Die bisherigen Bemühungen um mehr Sicherheit in der irakischen Hauptstadt Bagdad seien gescheitert, weil nicht genügend Truppen dafür eingesetzt worden seien, begründete Bush. Zudem sei die Armee von zu vielen Einschränkungen behindert worden. Insgesamt wollen die USA 21.500 zusätzliche Soldaten in den Irak entsenden. Die erste Brigade soll bereits bis Montag eintreffen, eine zweite bis zum 15. Februar und drei weitere ebenfalls im Abstand von jeweils einem Monat. Anders als zuvor sollen diese Truppen das klare Mandat erhalten, den irakischen Streitkräften bei der Befriedung Bagdads zu helfen. Es solle keine politische oder religiöse Einflussnahme mehr geben, kündigte der US-Präsident an.

Mit dieser Strategie folgt Bush erstmals nicht dem Rat seiner Generäle. Sowohl General George W. Casey, der Oberkommandierende im Irak, als auch General John P. Abizaid, Chef des US-Zentralkommandos Centcom, hatten sich zuvor gegen eine Truppenerhöhung ausgesprochen. Die Militärs fürchten demnach deutlich mehr Opfer unter den US-Truppen, wenn sie verstärkt in den Hochburgen der Aufständischen eingesetzt würden. Gefährlich sei auch, dass sich die US-Soldaten mit der neuen Strategie auf die irakischen Kräfte verlassen müssten, mit denen sie zusammen eingesetzt werden sollen. Die größte Schwäche des neuen Bush-Planes sei es aber, so der Militär-Analyst der New York Times, Michael Gordon, dass sich Bush für ein Gelingen vollständig auf die Kompetenz und guten Willen der schiitisch dominierten irakischen Regierung verlasse. „Und die hat bislang weder das eine noch das andere erkennen lassen.“

Mit der Vorstellung des neuen Planes halten zahlreiche US-Kommentatoren es für erwiesen, dass sich Bush auch in Zukunft nicht an die Empfehlungen der überparteilichen Baker-Kommission halten wird. Bush wendet sich damit gegen Forderungen der Demokraten, ein Ende der US-Militärpräsenz im Irak einzuleiten. Dies würde nur zu einem Kollaps der irakischen Regierung führen, „dieses Land auseinanderreißen und zu massenhaftem Tod von unvorstellbarem Ausmaß führen“. Die Verstärkung der Truppen könne dagegen dazu beitragen, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und „die Ankunft des Tages zu beschleunigen, an dem unsere Truppen mit der Heimkehr beginnen werden“.

Von den Irakern verlangt Bush nun größeres Engagement als bisher zum Wiederaufbau und zur Verbesserung der Sicherheitslage. Die irakische Regierung soll unter anderem zehn Milliarden Dollar aus ihren Öleinkünften für die Rekonstruktion bereitstellen. Die US-Wiederaufbauhilfe soll künftig der Ex-Diplomat Timothy Carney koordinieren, wie Außenministerin Condoleezza Rice gestern Morgen bekannt gab.

Die britische Außenministerin Margaret Beckett begrüßte die neue Strategie Bushs, betonte aber gleichzeitig, dass London nicht die Absicht habe, die eigenen Truppen im Irak zu verstärken. Laut einem Bericht des Daily Telegraph will Großbritannien stattdessen bis Ende Mai rund 2.700 Soldaten aus dem Süden des Irak abziehen.