Enteignung machbar

AUS BERLIN MALTE KREUTZFELDT

„Aktionismus“, „Bürokratie“, „Enteignung“, „Planwirtschaft“: Die deutschen Energiekonzerne fahren schwere Geschütze gegen die Pläne der EU-Kommission auf. Diese hatte am Mittwoch die Zerschlagung der großen Strom- und Gasunternehmen gefordert, um Energieproduktion und Netze voneinander zu trennen. Auch mit einer rechtlichen Einschätzung sind die Konzerne schnell zur Stelle: Eine Zerschlagung wäre „verfassungsrechtlich extrem bedenklich“, urteilte RWE. Auch EnBW behauptete sofort, dass die geforderte Enteignung der Netze mit dem deutschen Recht „nicht vereinbar“ sei.

Doch das kann man auch anders sehen. Artikel 14 des Grundgesetzes enthält nicht nur den bekannten Satz „Eigentum verpflichtet“, sondern besagt auch: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Ob das auf eine Verstaatlichung der Stromnetze angewendet werden kann, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kürzlich untersucht.

Diese Analyse kommt zum Schluss, dass die Kompetenz für eine solche Entscheidung beim Bund liege, der die Enteignung per Gesetz beschließen müsse. Grundsätzlich müsse eine Enteignung dem Allgemeinwohl dienen und zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe geeignet und erforderlich sein. Das erscheint bei Energienetzen gegeben. Die entscheidende Frage ist nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes, ob das angestrebte Ziel auch durch weniger schwere Eingriffe zu erreichen sei. Die Enteignung sei die „ultima ratio“ zur Erreichung des Gemeinwohlzwecks, hatte das Bundesverfassungsgericht 2002 in einem Urteil erklärt.

An dieser Frage scheiden sich derzeit die Geister. Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur, plädierte im Handelsblatt dafür, zunächst zu „prüfen, ob die bereits eingeleitete Entflechtung, die Ausgliederung der Netztöchter in rechtlich eigenständige Firmen, nicht schon ausreicht“. Professor Uwe Leprich, Volkswirt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, geht hingegen davon aus, dass sich die Energienetze zwingend mehrheitlich in öffentlichem Besitz befinden müssen, um Wettbewerb und Investitionen zu gewährleisten. „Ein Konzern, der gleichzeitig auch mit Energie handelt, kann niemals ein neutraler Netzbetreiber sein“, sagte er zur taz. Auch einen unabhängigen privaten Betreiber hält er für ungeeignet: „Die notwendigen langfristigen Investitionen stehen zwangsläufig im Widerspruch zu den kurzfristigen Renditeerwartungen eines Investors.“

Die zweite entscheidende Frage ist, in welcher Höhe die Energiekonzerne bei einer Enteignung entschädigt werden müssten. Das Grundgesetz erklärt dazu lediglich: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“ Laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags folgt daraus, dass die Entschädigung weder Schadens- noch Wertersatz sein müsse. Aribert Peters, Präsident des Bundes der Energieverbraucher, geht davon aus, dass die Finanzierung selbst bei einer hohen Entschädigung kein Problem sei, denn sie erwirtschafteten Renditen in einer Größenordnung von 20 Prozent. Peters: „Die Netze sind eine Goldgrube. Auch mit niedrigeren Gebühren könnten die Kosten einer Entschädigung aus den Einnahmen locker gedeckt werden.“

Vor der juristischen Frage steht aber ohnehin die politische. Und da deutet wenig auf eine Verstaatlichung der Netze hin. Diese fordern neben der Linksfraktion nur einzelne SPDler wie Hermann Scheer. Die Grünen wollen einen unabhängigen, aber privaten Betreiber. Wirtschaftsminister Glos (CSU) lehnt eine Trennung von Netz und Betrieb ebenso wie die FDP ab, Umweltminister Gabriel (SPD) will Produktion und Netz nur betriebsrechtlich trennen, falls alle anderen Maßnahmen nicht greifen.