Entdeckung einer zweiten Haut

Zwischen New Style, Krumpin‘ und B-Boyin‘. Die TänzerInnen des Düsseldorfer Hiphop-Kollektivs E-Motion zeigen im Tanzhaus NRW mit „2nd ID“ bereits ihr zweites Bühnen-Projekt. Doch eine „Street-Battle“ löst immer noch die meisten Kreischer aus

VON PETER ORTMANN

Vor drei Jahrzehnten befiel ein Virus die Jugendlichen der Welt. Die Folge: Sie bewegten sich mit merkwürdigen Tanz-Schritten auf dem Bürgersteig und machten gruppenweise akrobatische Bewegungen auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt. Das war keine Epilepsie, sondern Battle-Rocking, also keine Folge paroxysmaler synchroner Entladungen im Gehirn, sondern Breakdance zu HipHop-Musik aus dem Ghettoblaster. Das Ghetto war die Bronx in New York. Dort gründete sich die berühmteste aller Breakdance-Truppen, die Rock Steady Crew.

HipHop, Breakdancer und die nicht zu vergessenen Graffiti-Sprayer haben heute die Straßen verlassen. Sie sind massenkompatibel geworden. Die Musikindustrie verdient Millionen mit pseudo-trashigem Reimgesang. Letzte Katastrophen: Flavor Flav von den politischen Public Enemy (Fight the power) macht eine Heirats-Soap auf MTV. Das subversive Graffiti-Sprayen hat die Kindergärten erreicht. Tags und Walls entsprechen diesem Niveau. Die Breakdancer machen jetzt zeitgenössisches Tanztheater. Das Lebensgefühl HipHop scheint endgültig ausgehöhlt.

Im Düsseldorfer Tanzhaus NRW hat das Kollektiv E-Motion Premiere. Es ist bereits ihr zweites Projekt. Hiphop ist für sie Alltag. Die zwei Tänzerinnen und vier Tänzer haben alle einen anderen kulturellen Hintergrund, leben quer durch Deutschland verstreut und begeben sich doch gemeinsam auf die Suche nach ihren Wurzeln. Sie entdecken in „2nd ID“ Fragmente dieser anderen Identität, die HipHop heißt und doch mit der flimmernden MTV-Welt kaum etwas zu tun hat. Es ist das Universum der virtuellen Medien zwischen Internet und Handy, das Transnationalität und weltweite Kommunikation möglich macht. Von Gangsta-Rap und halbnackten Videoclip-Püppchen distanzieren sie sich. Auch vom Ghetto-Gedanken. Für E-Motion steht der starke Migrationshintergrund aller Beteiligten im Vordergrund. Er prägt Battle, Robot Dance, Footworks und Freezes auf der Bühne.

Dumpf vibriert der Bass. Es geht los. Das Publikum aus Schulklassen wird tatsächlich leise und schaut gespannt, auch wenn hier und da noch ein paar SMS in Farbe abgerufen werden, allerdings ohne Ton. Die Bühne im Tanzhaus ist leer, wie seinerzeit der Parkplatz in der Bronx. Nur die Ästhetik erinnert mehr an Modern Dance. Die Moves und Styles der TänzerInnen auch. Eine Folge der Zusammenarbeit mit der ehemaligen William Forsythe-Dramaturgin Célestine Hennermann, die mit den sechs eine schlüssige Choreografie entwickelte, die das B-Boying mit Interferenz-Videos hinterlegte, in denen die Performer ihre Statements loswerden. Tänzerische Konkurrenz wie in ihrer ersten Produktion 2003 gibt es nicht mehr. Homogen laufen die einzelnen Szenen ab. Höhepunkt ist eine „Battle“ zwischen Kadir Memis (alias Amigo von der international arbeitenden Berliner B-Boy-Crew Flying Steps) und einem virtuellen Videospiel-Dancer auf der herein gerollten Leinwand.

Amigo liefert, was man sich unter Breakdance so vorstellt: Head Spin, Ninety Nine, Glides, alles unglaublich schnell, präzise und innovativ vermengt, Turnvater Jahn hätte damals schweißnasse Hände bekommen. Die Einlage kommt an, das jugendliche Publikum kreischt, was die Stimmbänder hergeben. Am Schluss pumpt nicht nur Kadirs Blutmaschine, auch das Audioband gibt Herztöne von sich, die nie langweilige Choreografie geht weiter. Breakdance hat als zeitgenössische Tanzform und als Ausdrucksmöglichkeit unterschiedlicher kultureller Hintergründe seine Berechtigung.

2nd ID (Uraufführung)Sa und Sa, 20:00 UhrTanzhaus NRW, DüsseldorfInfos: 0211-172700