Spuren in die Vergangenheit

KINO Von der archäologischen Arbeit am Roten Rathaus hat Antonia Weiße einen malerischen Ausgrabungsfilm gemacht – heute am Samstag ist er im Brotfabrik-Kino zu sehen

Unter einem blau erstrahlenden Berliner Himmel liegt die Grabungsstätte – abgeschirmt von den Verkehrsströmen der östlichen City – weit gestreckt vor dem Roten Rathaus. Hier steht die Zeit still, und doch ist immerzu, während gearbeitet wird, alles in gemächlicher Bewegung. Schon die erste Einstellung verrät das gute Auge der Regisseurin und ihre glückliche Hand bei der Aufgabe, aus Bildern und Tönen einen emotionalen Raum zu schaffen. Alles kam darauf an, nicht nur zu dokumentieren, sondern das Ganze mit jenem geheimnisvollen „Mehr“ auszustatten, das den Unterschied ausmacht zwischen einem Sprechen, das man versteht, und einem solchen, das man genießt.

Antonia Weißes filmischer Sinn reagierte mit einer Art von Musikalität (Schnitt: Jakobine Motz). Jede Phase der Grabungsarbeiten wird registriert, wobei das vorsichtige Abtragen und Bloßlegen von Erdschichten, dieses feinfühlige Durchkämmen des Bodens, am sinnfälligsten werden lässt, dass alles beim ersten Mal richtig zu tun ist. Korrigierende Wiederholungen sind nicht mehr möglich. Die Leute, die hier am Werk sind, Spezialisten und Hilfskräfte, arbeiten nach einem Gesamtplan, den uns der Film nicht erklärt. Umso stärker machten sie auf mich den Eindruck eines Ensembles, das auf einer vom lärmenden Alltag isolierten Freilichtbühne traumwandlerisch zusammenwirkt.

Immerzu spielt das Naturschöne mit in die Vorstellung hinein. Die warmen Farben der vertikal freigelegten Erdschichten bilden – ohne den Eindruck von Tiefe und Modellierung – wunderbar nuancierte Bänder; einer dieser Querschnitte weist eine unvergleichliche Skala von Grautönen auf. Durch immer größere Reduzierung des Blickfelds wird das Gegenstandslose erreicht: die an den Rändern ineinandergeschobenen rostroten, blau-schwarzen und kalkweißen Farbflächen einer Gesteinsformation. Gleich einer Malerin zeigt Antonia Weiße, was die Farbe vermag. Ihr Film verrät die Fähigkeit zu subtiler Mitteilung, Handwerk in hohem Sinn.

PETER NAU

■ Antonia Weiße: Rathaus-Grabung Berlin, 2013. Die Filmaufnahmen erfolgten zwischen April 2010 und Dezember 2011. Am Samstag um 16 Uhr im Brotfabrik-Kino