Bremens Krankenhauspolitik – ein Scherbenhaufen

Die Bremer Klinikchefs, Betriebsräte und Gesundheitspolitiker sind heillos zerstritten. Die kommunalen Krankenhäuser müssen dringend modernisiert werden, sonst droht die Pleite

von Klaus Wolschner

Die bremische Krankenhauspolitik steht vor einem Scherbenhaufen. „Gesundheitswirtschaft“ sollte ein „Cluster“ werden, wie man das sagt, ein Aktivposten der wirtschaftlichen Stärke – alle größeren Kommunen wittern darin ein Geschäft für die Zukunft. Wenn Patienten in die Stadt kommen, war das bisher ein Kostenfaktor. In Zukunft kann man damit Geld verdienen. Aber noch sind Bremens kommunale Krankenhäuser defizitär, insbesondere das Größte: das „Klinikum Bremen-Mitte“ (KBM) an der St.-Jürgen-Straße. Einer der Gründe ist die „Pavillon“-Baustruktur – ein nicht unerheblicher Teil des Personals ist immer gerade „unterwegs“ von einem Haus in ein anderes. Bisher zahlten die Kassen dafür.

Kurz nach dem Beschluss des Bundestages über das neue Krankenhausfinanzierungssystem, das ab 2009 „scharf“ gelten soll, hat in Bremen unter den gesundheitspolitischen Fachleuten die Debatte darüber begonnen, wie die kommunalen Kliniken sich auf die neue Lage vorbereiten könnten. Der Abteilungsleiter im Gesundheitsressort, Matthias Gruhl, hat sehr früh ein Konzept im Hinterkopf gehabt, was passieren muss: Am Standort des Krankenhauses Mitte sollte ein großer, hochmoderner Neubau entstehen. Private Investoren sollten ins Boot geholt werden. Und klar war auch: Die vier kommunalen Kliniken sollten unter einem Dach zusammengeführt werden.

Der Plan, am Standort des Klinikums Mitte so viel Geld zu investieren, brachte die anderen drei Kliniken aber in eine Abwehrhaltung. Als Kompromiss wurde eine gemeinnützige GmbH als Holding vereinbart, die wenig Kompetenzen haben sollte: Die vier Krankenhäuser sollten mit eigener Geschäftsführung selbständig bleiben.

Vom Gesundheitsressort wurde aber nicht einer gesucht, der sich mit der Rolle als Frühstücksdirektor zufrieden geben würde. Abteilungsleiter Gruhl wie auch der Staatsrat Arnold Knigge waren begeistert von dem Bewerber Wolfgang Tissen, weil der von der Privaten Krankenhausgesellschaft „Wittensteiner Kliniken“ (WKA), die zum Fresenius-Konzern gehört, kam. Er sollte Management-Methoden der Privatwirtschaft im Klinik-Bereich einführen.

Die Chefetage des Klinikums Links der Weser war von vornherein gegen Tissen, weil sie in ihm einen oberflächlichen „Überschriftenfabrikant“ sah. Das Klinikum Bremen-Nord ist in gewisser Weise ein Sonderfall, weil es sich aufgrund der größeren Entfernung vom Klinikum Mitte nicht so sehr bedroht sah. Im Klinikum Bremen-Ost ging man sofort auf die Barrikaden gegen Tissen, als der deutlich machte, dass er im Sinne von Gruhl die Verlagerung von Klinikbereichen ans Klinikum Mitte mitmachen wollte. Konkret ging es damals um die Verlagerung der „stroke unit“, also der Spezialeinrichtung für Schlaganfälle, vom Klinikum Ost nach Mitte.

Mit Andreas Lindner als neuem Geschäftsführer für das Klinikum Ost durfte sich Tissen dann einen Geschäftsführer holen, den er von früher kannte und in dem er einen Verbündeten vermuten konnte.

Mit Hilfe von Gutachtern der zur Fresenius-Gruppe gehörenden Firma Solve Consulting sollte ein „Masterplan“ für das Klinikum Mitte entstehen – für 174 Millionen Euro ein weitgehender Neubau. Der Betriebsrat des Klinikums Mitte sieht bis heute in dem Projekt die einzige Möglichkeit, die Klinik vor dem Konkurs zu retten und stimmt auch dem damit verbundenen Abbau von rund 700 Stellen zu. Die drei anderen kommunalen Häuser sind bis heute auf Distanz, weil ihnen wesentliche Bereiche zugunsten des Neubaus genommen werden sollen. Die Finanzierung über einen privaten Klinikbetreiber sehen sie zudem als Einstieg in die Privatisierung. Tatsächlich ist heute eine Tochter des Fresenius-Konzerns die wesentliche Bewerberin für die Neubau-Investition an der St.-Jürgen-Straße.

Das von Holding-Geschäftsführer Wolfgang Tissen im Februar 2005 vorgestellte „Strategiepapier“ wurde heftig kritisiert in Bremen, es zeigt sich, dass auch die SPD nicht dafür zu gewinnen ist. Am Ende einer für den Holding-Chef eher peinlichen Diskussionsphase wird in Dangast im Mai 2005 mit den Betriebsräten ein Kompromiss formuliert, der wesentliche Korrekturen beinhaltet. Über Monate bewegte sich dann nichts mehr an der Krankenhaus-Front. Man zerstritt sich über die Frage, ob die Reinigungsfrauen besser zentral oder dezentral organisiert werden, über Einkaufsmanagement und eine Zentralküche. Die Konkurrenzen zwischen den vier Häusern blühten auf. Der Holding-Chef war geschwächt, und in Bremen-Ost gingen die alten Freunde von Geschäftsführer Andreas Lindner als teure Berater ein und aus.

Das war die Phase, in der die engen Kontakte zwischen Lindner und Tissen sich gelockert haben müssen. Lindner baute einen engen Draht zu dem Staatsrat Knigge auf, zu „Arni“, wie er gern sagte. Tissen hielt sich eher an den Abteilungsleiter Gruhl, der seinerseits darüber schimpfte, dass der Staatsrat an ihm vorbei ins Krankenhaus-Geschäft hineinregierte.

Im Herbst 2006 unternahm Holding-Chef Tissen noch einmal einen Versuch, um wieder Einfluss zu gewinnen: Er schlug vor, dass die vier mächtigen Klinikchefs alle ihre Posten verlassen sollten, „Rotation“ war der Name für das Modell. De facto wäre es einer Entmachtung gleichgekommen. Die Gesundheitsbehörde sah darin ein taugliches Mittel, um die Widerstände zu brechen. Lindner soll Chef des großen Klinikums Mitte werden.

Tissen wollte letztlich die vier Klinik-GmbHs in einer verschmelzen – und so Chef aller Krankenhäuser werden. Die CDU-Gesundheitspolitikerin Rita Mohr-Lüllmann war dafür, aber die Senatorin habe ihm gesagt: „Nach der Wahl“, erzählt Tissen. Dass er solche Iden nicht ohne Absicherung bei dem mächtigen Abteilungsleiter Gruhl verfolgt hat, darf man getrost unterstellen.

Die Betriebsräte liefen Sturm, ihnen gelang es im Frühjahr 2006, die Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) zu einer scharfen Stellungnahme zu bewegen: „Die Bilanz von zwei Jahren GesundheitNord unter den Zielvorgaben der Holding fällt absolut ungenügend aus“, so steht es in deren „Memorandum“ vom Januar 2006. Und: „Der Führungsstil der Holding-Geschäftsführung erscheint vielen MitarbeiterInnen selbstherrlich und autoritär“, das Vertrauen in die Kooperationsfähigkeit des Holding-Chefs sei „weitgehend verloren gegangen“.

Ein letztes Mal stellte sich Gesundheitssenatorin Karin Röpke ausdrücklich hinter Tissen – sie hatte keine Wahl und sah ihr Konzept der Modernisierung der Kliniken gefährdet. Aber immer mehr Details über die weniger glänzende berufliche Vorgeschichte der beiden aus der Privatwirtschaft angeworbenen Geschäftsführer wurden von den Betriebsräten kolportiert. Diese Informationen sind zusammengefasst in einem „Dossier“, das die Senatorin Ende Februar erreicht. Sie schickte es Tissen zur Stellungnahme. Der lehnt das ab, es kommt zum Zerwürfnis. Tissen erklärt, er selbst habe das Handtuch geworfen und der Senatorin gesagt, er wolle seinen Vertrag nicht verlängern. Innerhalb einer Woche musste er im März 2006 seinen Schreibtisch räumen.

In den gleichen Wochen informiert der Betriebsratsvorsitzende des Klinikums Bremen-Ost, Lothar Schröder, den Staatsrat Arnold Knigge über Merkwürdigkeiten in der Geschäftspolitik des Geschäftsführers Lindner. Knigge hält das Ganze für einen Teil des Widerstands der Betriebsräte, klassifiziert die Insider-Informationen als „Gerüchte“ und bat Lindner, doch zu den Vorwürfen auf der nächsten Aufsichtratssitzung Stellung zu nehmen. Wochen vergehen, Schröder informierte die Grünen, die beantragten Akteneinsicht und veröffentlichten ihre Erkenntnisse – wenige Tage später ist Lindner vom Dienste suspendiert.

Der erfahrene, langjährige Staatsrat Arnold Knigge ist darüber gestürzt, die Gesundheitssenatorin Karin Röpke musste gehen. Von ihren Nachfolgerinnen hat man bisher nichts zum Thema gehört. Übrig geblieben von der bremischen Krankenhaus-kompetenz ist der Abteilungsleiter Matthias Gruhl, eine Schlüsselfigur beim Weg auf den Scherbenhaufen. Vor dem Untersuchungsausschuss stellte er sich ganz klein dar. Ein feinsinniger Beobachter kommentierte seinen Auftritt so: „Sie verstehen es, Zuständigkeiten weit weg zu schieben, wenn es heikel wird. Da mögen sie im Amtsalltag eitle Bürofürsten mit Hang zu Caesarengehabe sein, wenn Misserfolge ruchbar werden, präsentieren sich die vermeintlich großen Strippenzieher als kleine Lichter.“