berliner szenen Das Alphabet der Stadt

Y wie Yorck 59

Es gibt in dieser Stadt keinen Teil, der mit Y beginnt. Es gibt nur die Ystader in Prenzl- und die Yorckstraße in Kreuzberg. Am Ende der Letzteren, in einer öden Gegend an der Grenze zu Schöneberg, befand sich lange das Yorck 59, ein klassisch besetztes Haus, das mittlerweile geräumt, überantwortet, saniert und fast komplett neu vermietet ist. Erinnerungen an die wilde Zeit des Hauses muss man mit der Lupe suchen. In den ersten beiden Stockwerken finden sich noch ein paar Farbkleckse, im Gang zum Hof ein wenig Geschmier und gegenüber, unter dem Banner des Wohnmagazins „Exil“, behauptet ein Graffito: „Y59 bleibt“. Das war’s aber auch. Im Hinterhof warten die Fenster auf den nächsten Montag, Parterre haust jetzt ein Altbausanierungsbüro, auf dem Parkplatz steht der Dienstwagen einer Aufzugsfirma. Die wenigen bereits eingezogenen Mietparteien enden alle auf A.

Vielleicht ist das Y59 ein Wanderstadtteil, ein Wanderhaus, inzwischen haben sich die Reste der Reste nämlich im Bethanien am Mariannenplatz eingenistet. Ruhig ist es auch hier. Es ist eine Ruhe des Verfalls, die Anzeichen dafür vermehren sich jedenfalls. Vor dem Y59-Trakt liegt ein ausgedienter Staubsauger herum, ein abgewetzter Teppich, eine Schubkarre, Schrotträder. Ein veraltetes Plakat fordert Freiheit für einen Namensvetter von mir, ein anderes macht Werbung für eine Selbstmordparty. Lebenszeichen an diesem weinerlichen Januartag: Auf dem Spielplatz schaukelt eine Mutter ihr Kind, Anwohnerkids pöhlen auf dem Bolzplatz, ein Schäferhund transportiert Leergut. Die beiden Punkmädchen, die hinter dem Hund hergehen, unterhalten sich über das erste Seifenblasen-Weitpusten, das demnächst hier stattfindet. Irgendwie sinnig. RENÉ HAMANN