Scheiden macht schlank

In Berlin diskutieren Mediziner Erkenntnisse der Ernährungsforschung: Singles sind seltener übergewichtig als Verheiratete – und Hamburger sind besonders dünn

BERLIN taz ■ Das Singledasein hat laut Hans-Joachim Zunft auch sein Gutes. Es hält den Bauch flach und die Taille schlank. Verheiratete hingegen schätzen offenbar den trägen Fernsehabend und das opulente Mahl: Sie sind häufiger übergewichtig als Ledige. Noch schlechter stehen Witwen und Witwer da. Gegen eine Scheidung hingegen spreche aus Sicht des Körpergewichts nichts, sagt der Professor für Ernährungswissenschaft der Uni Potsdam: Übergewichtige nehmen dann eher ab.

Gestern trafen sich in Berlin auf Einladung der Bundesärztekammer hunderte Mediziner, um über ein ungelöstes Problem zu diskutieren: Warum nur werden die Deutschen immer dicker? Und was können Ärzte dagegen tun?

Einige Fakten immerhin sind bekannt. Besonders häufig übergewichtig sind die Deutschen beim Eintritt ins Rentenalter. In dieser Lebensphase haben rund 70 Prozent der Männer und über 60 Prozent der Frauen zu viel auf den Hüften. Mit steigendem Alter werden die Deutschen dann wieder schlanker. Die Forscher konnten auch regionale Unterschiede ermitteln: Am schlanksten sind die Hamburger – und am molligsten die Menschen in Sachsen-Anhalt.

Ganz genau indes weiß niemand, wie viel Frauen und Männer in Deutschland auf die Waage bringen. Eine der Hauptquellen, die derzeit genutzt wird, ist der „Mikrozensus“, eine repräsentative Haushaltsbefragung. Das Problem dabei: Die Daten beruhen auf einer Selbsteinschätzung. Bei der aber, fanden Forscher in anderen Studien heraus, geben die Befragten ihr Gewicht im Schnitt zu gering an. Dabei dient eine ehrliche Selbsteinschätzung durchaus dem Eigeninteresse. Denn schon bei geringem Übergewicht erhöht sich das Sterberisiko leicht. Von Adipositas, also krankhaftem Übergewicht, sprechen die Forscher ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 – ein Richtwert, ermittelt aus dem Gewicht, geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat. Zwar sind die Zusatzpfunde an sich keine Krankheit. Sie erhöhen aber das Risiko, an Diabetes, Herzleiden oder Arthrose zu erkranken. Was die Ärzte beunruhigt, ist die Rasanz, mit der die Zahl der extrem Übergewichtigen zunimmt. Der Trend ist gerade bei Kindern feststellbar: Zwar gab es schon immer mollige Kinder. Neu aber ist, dass viele Teenager nicht nur ein wenig pummelig, sondern extrem fett sind.

Dass dicke Menschen immer dicker werden, hat auch physiologische Gründe: Ab einem BMI von 30 setzen laut Olaf Adam, Ernährungsmediziner an der Uni München, die Sättigungsgefühle aus. Der Mensch isst und isst, ohne dass der Körper signalisiert: Nun ist es genug.

Diesen Kreislauf zu durchbrechen fällt Ärzten auch deshalb schwer, weil derzeit selbst Experten ratlos sind, welche Diät wirklich die beste ist. „Man weiß nicht, was man den Patienten empfehlen soll“, sagt Adam. Weder eine fettarme Ernährung noch neuere Methoden wie die fett- und eiweißreiche Atkins-Diät hätten sich als optimal erwiesen. Für aussichtsreicher hält Adam ersten Versuchen zufolge eine Mischung aus fettarmer, kohlenhydratreicher Kost am Morgen und Mittag und einem fettigen Mahl am Abend. „Aber das Patentrezept ist noch nicht gefunden.“

Das Hauptproblem der Abspeckprogramme indes bleibt, dass sie meist nicht dauerhaft wirken. Gerhard Harry Scholz, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin in Altenburg, hat untersucht, wie dünn die TeilnehmerInnen verschiedener Therapien tatsächlich geworden sind. Schnell bemerkte er eine Tendenz: In den ersten Monaten nehmen die Menschen meist gut ab. Kaum jemand aber schafft es, über Jahre hinweg dieses Gewicht dann zu halten. Scholz ist überzeugt, dass auf ein paar Monate angelegte Programme nur wenigen helfen: „Eine lebenslange Betreuung ist notwendig“.

COSIMA SCHMITT