Agenda 2010
: Die ungeliebte Galionsfigur

Ein Schiff wird kommen,

und das bringt mir den einen

Den ich so lieb‘ wie keinen,

und der mich glücklich macht.

Alle im Ruhrgebiet sind glücklich über den junggebliebenen Fritz, den WDR-Haudegen, der wie unser Segelschulschiff Gorch Fock in allen Teilen der Welt zu Hause ist und dennoch überraschend in Essen wieder sein Zelt aufschlägt, um dort „den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander zu ermöglichen“ So will das EU-Parlament. Fritz Pleitgen sei deshalb eine „Idealbesetzung“ für die Europäische Kulturhauptstadt 2010, sagt Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Weil er Renommee besitze, umfassende kulturelle Erfahrungen und internationale Verbindungen natürlich auch.

Pleitgen soll also ein Aushängeschild sein, mit dem sich die Region schmückt. Auch wenn er das nicht sein will. „Als Galionsfigur lasse ich mich sicher nicht holen“, sagte er in der letzten Woche. Das ist merkwürdig. Die Galionsfigur am Bug eines Schiffes ist positiv besetzt. Sie erfüllt es mit Glanz, als Sinnbild für einst ruhmreiche Zeiten. Sie beschützt das Schiff und den Kapitän vor Unheil. Was ist also dagegen einzuwenden? Angst vor der apotropäischen Urbedeutung dieser Holzfiguren? Die basiert nämlich auf Geisterabwehr, verbunden mit Riten aus vergangenen Zeiten. Witzigerweise werden die bis in die Gegenwart durchgeführt, meist ohne das Wissen um ihre Herkunft, wie das Tätowieren oder Weihwasser spritzen.

Manchmal wollten Galionsfiguren auch Angst einflößen, wie die Drachen bei Wikingerschiffen. Können wir das im Ruhrgebiet tatsächlich nicht brauchen, wenigstens das? Ich jedenfalls plädiere für Fritz Pleitgen als (wunder)schön gestaltete Kühlerfigur aller Fahrzeuge der neuen Ruhr 2010 GmbH. Vielleicht hat der bewährte RAG-Stammkünstler Otmar Alt hier eine seiner (wunder)baren Ideen. Wunder scheint die Region nämlich zu brauchen: Denn wie sagte Fritz Pleitgen (auch in der letzten Woche) in typischer Kommunalverbands-Tradition: Der Raum an der Ruhr will der Welt klarmachen, dass man sich mit London und Paris zu messen wünscht. Da braucht es bestimmt ein paar apotropäische Handlungen.

Der Großsegler Ruhrgebiet braucht also eine Galionsfigur an seinem Bug. Aber keinen Albatros wie an der Gorch Fock. Das deutsche Aushängeschild auf den Weltmeeren verliert den nämlich dauernd. Vor gar nicht so langer Zeit gleich zweimal in einem Jahr. Will Fritz Pleitgen vielleicht deshalb keine Galionsfigur fürs Ruhrgebiet sein?