Tanz in der Erinnerung

POP Der New Yorker Musiker Twin Shadow kann die Achtziger nicht vergessen und setzt ihnen mit seinem Debütalbum ein bittersüßes Denkmal

Um an seiner ersten Platte zu arbeiten, verließ Lewis den Süden in Richtung New York

Florida gilt gemeinhin als schöner US-Bundesstaat. Wenn man aber, wie der in der Dominikanischen Republik geborene Musiker George Lewis jr., im Provinzsumpf des „Sunshine State“ aufgewachsen ist und mit der eigenen Kindheit vor allem unerfreuliche Erinnerungen verbindet, mag das alles ganz anders aussehen.

Um genau diese Erinnerungen geht es auf Lewis’ Solodebüt als Twin Shadow, dem er den fast schon verzweifelt wirkenden Titel „Forget“ gegeben hat. Denn vergessen, das wird beim Hören ziemlich klar, kann Lewis eben nicht. Dafür konnte er dem Durcharbeiten seiner Vergangenheit zwischen tyrannischen Eltern und „verbotener“ erster Liebe eine Reihe schillernder musikalischer Kleinodien abringen, wovon man sich morgen Abend auch im Magnet überzeugen lassen darf.

Um an seiner ersten Platte zu arbeiten, verließ Lewis den Süden in Richtung New York, wo er sich in Brooklyn, der Zentrale für junge Bands, niederließ. In diesem quirligen Umfeld entstand ein Großteil seiner Songs, und dort bekam er auch Unterstützung von Chris Taylor von der Band Grizzly Bear. Taylor, in seinem eigenen Projekt maßgeblich für den Klang zuständig, produzierte die Schallplatte und veröffentlichte sie auf seinem vor zwei Jahren gegründeten Label Terrible Records.

Als „Forget“ im vergangenen November erschien, wurde es in der Presse als eines der überzeugendsten Debüts des Jahres gefeiert. Die Zutaten, auf die Lewis zurückgegriffen hat, wirken dabei zunächst einmal gar nicht so sensationell: Der 26-Jährige, der sich seit seiner Jugend der Musik verschrieben hat, gibt sich in seinen Songs eindeutig als Verehrer der wohl nie mehr enden wollenden Achtzigerjahre zu erkennen. Synthiepop steht auf seiner Favoritenliste ganz weit oben, desgleichen New Wave, aber auch Disco. Und in einer Nummer wie „Slow“ kann man die großen Melancholiker The Smiths unschwer als direktes Vorbild heraushören.

Das alles, könnte man einwenden, machen andere Bands auch, und im Grunde hat man von dieser Musik allmählich doch genug gehört. Was aber an der Sache etwas vorbeigeht, denn der bloße Umstand, dass jemand sich nicht von den Achtzigern lösen möchte, sagt herzlich wenig über Qualität und Originalität der Musik aus, die aus dieser Nostalgie entsteht. Der Titel „Forget“ scheint sich daher nicht zuletzt auch auf Lewis’ musikalische Biografie zu beziehen.

Ganz gleich, aus welchem Winkel Lewis die Dekade seines Vertrauens ansteuert, er überzeugt mit liebevoll gearbeiteten Songs, deren detailfreudige Produktion sie über reine Tribut-Funktion hinauswachsen lässt. So hat die wehmütige Disco-Nummer „When We’re Dancing“ nicht nur eine herzerweichend hymnische Melodie, sondern wird mitten im Song unerwartet durch schwebende Gitarrenharmonien ergänzt, die man eher mit einem Prog-Rocker wie Robert Fripp als mit unterkühltem New Wave verbinden würde. Lewis’ Musik wurde sogar schon mit dem vor gut einem halben Jahr aufgekommenen Etikett Chillwave versehen, doch dafür sind seine Produktionen eigentlich eine Spur zu klar, seine Synthesizerlinien haben zwar Patina, aber das Verwaschen-Neblige, wie es für viele Chillwave-Protagonisten so typisch ist, findet man bei ihm kaum. Seine kunstvoll arrangierten Songs haben lediglich die nötige Portion Rauheit, um wie schmuddelig hingeworfen zu wirken.

Lewis hat so das perfekte Vehikel für seine bittersüßen Erinnerungen gefunden, die er im Titelsong noch einmal beschwört: „Sie werden uns etwas geben/ Sie werden uns viel zu vergessen geben/ oder genügend Seil, um die Sache zu erledigen.“ Vielleicht hat sich Lewis mit seinem Album ja den nötigen Abstand zur eigenen Vergangenheit geschaffen. Es wäre ihm zu wünschen.

TIM CASPAR BOEHNE

■ Twin Shadow: „Forget“ (4AD/ Beggars Banquet); live: 10. 2., 21 Uhr, Magnet