Die CSU-Anarchie

Chaos beim Empfang: In der bayerischen Regierungspartei geht’s drunter und drüber

AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER

Der alte König bockt: Für heute Vormittag hat Nochministerpräsident und Noch-CSU-Chef Edmund Stoiber zwei der wichtigsten Spieler in der Schlacht um Bayern zu getrennten Treffen in die Staatskanzlei geladen. Mit CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann und Landtagspräsident Alois Glück will er über den Weg aus dem Schlamassel beraten – mit dem Ziel der Regentschaft bis 2013. Morgen bei der Klausur der Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth will er sich dann das große Plazet abholen für eine weitere Kandidatur bei der Landtagswahl 2008. Weitere Bestandteile des wagemutigen Plans: Regionalkonferenzen, um die Basis zu besänftigen – und schließlich einen vorgezogenen Parteitag im Sommer, auf dem er zum Kandidaten gekürt wird.

Allein, es wäre ein Wunder, wenn der Plan des Monarchen aufginge. Die Zustimmung des bayerischen Volkes ist am Wochenende unter die in der CSU alles entscheidende 50-Prozent-Marke gefallen, nur 45 Prozent würden in Bayern derzeit schwarz wählen. Minus 16 Prozent im Vergleich zu Stoibers Triumphergebnis von 2003. Noch schlimmer für ihn als die Prognosen, die man – wie auch am Wochenende geschehen – mit „verständlichen Schwankungen“ abtun kann, ist die Anarchie, die ausgebrochen ist in seiner Partei.

Der unkontrollierbare Pulsschlag der Partei zeigte sich vor allem beim Neujahrsempfang, zu dem Stoiber am Freitag in die hochherrschaftliche Münchner Residenz geladen hatte. 1.500 Bürger und Promis durften im Audienzzimmer die Hände von König Edmund und seiner Gattin Karin schütteln. Doch aus dem Defilieren wurde immer mehr ein Kondolieren. Wenige Augenblicke vor dem Empfang vermeldeten die Agenturen schon wieder eine neue Hiobsbotschaft – die erste Absetzbewegung von CSU-Fraktionschef Herrmann: „Dass die Fürther Landrätin wochenlang keinen Gesprächstermin bekommen hat, die Probleme mit dem früheren Büroleiter des Ministerpräsidenten und schließlich das Stichwort 2013 – all das habe nicht ich zu verantworten.“

Im Minutentakt jagen am Freitagabend neue Gerüchte durch die holzgetäfelten Säle und Gänge der riesigen Anlage, in denen orthodoxe Popen, ausgezeichnete Lebensretter, Abgeordnete und andere Prominenz wandeln. Kurz nach sieben meldet der Spiegel: Horst Seehofer und Günther Beckstein werden übernehmen, der eine als Parteichef, der andere als Ministerpräsident. Halb acht: Das Vorab der Samstags-SZ macht die Runde, von einer Ablösung im Sommer ist die Rede. Die Abendzeitung schreibt von einer „goldenen Brücke“, die man für Stoibers Abgang errichte, und schließlich vermeldet auch der Bayerische Rundfunk die Lösung Beckstein/Seehofer.

Aus dem aufgeregtem Gemurmel wird ein perfektes Chaos, als drei Minuten vor neun die Kritikerin Gabi Pauli auf den Monitoren der kaiserlichen Säle erscheint. Die wohl gut geplante Bildregie zeigt nur Karin Stoiber von der Seite, die sich strafft, ein gemeinsames Foto gibt es nicht, nur ein kurzes Winken von Pauli, grüne Weste und schlichtes schwarzes Festtagsdirndl, in Richtung Kameras. Vor dem Audienzzimmer will ein Mann die wartenden Journalisten verscheuchen – „Hier keine Interviews!“. Vergeblich: Das Zimmer wird gestürmt, von Dutzenden Kameras wird Gabriele Pauli umringt, ein Hauen und Stechen beginnt, und dann kommt noch ein strahlender SPD-Fraktionschef Franz Maget, um der gern gelittenen Parteifeindin die Hand zu schütteln.

Kurz vor halb zehn spricht Stoiber dann, einige Minuten nur, er liest ab vom Blatt, versucht einen humorvollen Einstieg und bringt dabei genau auf den Punkt, was los ist an diesem Abend, als er von tausend Fallstricken redet. Von intensiven Beratungen in diesem Jahr spricht er, und von massiven Investitionen im nächsten. Ganz so, wie ein Ministerpräsident, der noch viel vorhat. Deutschlandhymne und die Bayernhymne werden eingespielt, Pauli kriegt einen Rüffel von einem CSU-Mitglied, dass sie beim Singen nicht so ganz bei der Sache war – und mit Stoibers Verabschiedung, „Ich wünsche gute Gespräche“, ist der Reigen des Flüsterns und Tuschelns endgültig eröffnet. Pauli ist jetzt passé, jetzt wird groß Politik gespielt.

Und es ist ein bitteres Bild. Von den Berlinern hört man, dass sie sich freuen, in der ruhigen Bundeshauptstadt zu arbeiten – und auch keine Ratschläge zur Beruhigung parat haben. Im Kaisersaal ein wirres Bild. Kabinettsmitglieder, umringt von Journalisten, die Gemengelage auch hier dieselbe: „Keine Ahnung, wie es weitergeht, es ist alles volatil.“ 1993 wurde Streibl gestürzt, ein weltfremder Säufer war er, da gab es Einigkeit bei allen in der CSU. Aber jetzt? Ein paar flankieren Stoiber, beschweren sich über die unsägliche politische Kultur, über Frau Pauli. Dann gibt es die, die sich auch Hoffnungen machen, die sagen, dass am Dienstag, in Kreuth, Schluss sein wird – „ob mit oder ohne Stoiber“. Mittendrin Günther Beckstein, ganz untertänig mit Frack, aber mit guter Laune. Von der „komischen Weinprobe“ fabuliert er, die das hier sei, und von politischen Träumen, die ihm seine Frau verbiete. Ein paar Schritte weiter Edmund Stoiber samt Gattin Karin. Sie im mintfarbenen Tüll-Paillettenkleid, inzwischen wieder gefasst. Als über die Leinwände die großen Ereignisse des Jahres 2006 flimmerten, waren noch Tränen in ihren Augen.