Familie Sarkozy

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Eine Stunde und 15 Minuten lang beschrieb Nicolas Sarkozy gestern das Frankreich seiner Träume. Das Land, das er in den nächsten fünf Jahren führen möchte. „Ich will Präsident von einem Frankreich sein“, leitete er jedes neue Kapitel seiner Grundsatzrede ein. Sarkozy sprach über die Justiz und die europäische Währung, über den Irakkrieg – „ein Fehler“ – und die EU-Mitgliedschaft der Türkei, die er nicht wünscht. Über die Frauenrechte, die er weltweit verteidigen will, und über die Arbeitszeit in Frankreich, deren Verkürzung er bekämpft.

In seiner Rede, die an historische gaullistische Vorbilder erinnerte, versuchte der nunmehr offizielle rechte Präsidentschaftskandidat, das ganze Land zu umarmen, „die Rechten und die Linken, die Franzosen aus der Metropole und jene aus Übersee“. Am Ende sagte er: „Es geht nicht um mich. Es geht um Frankreich.“ Und fügte einen Satz hinzu, der bis zum April der Slogan seiner Präsidentschaftskampagne sein wird: „Alles ist möglich.“ Dann sang ein Kinderchor die Marseillaise.

Der mit rund 70.000 Menschen gefüllte Saal spendete dem UMP-Chef und Innenminister Standing Ovations. Die beinahe komplette Führungsriege der Partei und der Regierung stieg zu ihm auf das in den Farben der Trikolore dekorierte Podium.

Nur wenige rechte Spitzenpolitiker fehlten auf der Bühne. Regierungschef Dominique de Villepin hatte lediglich am Vormittag eine Runde durch das Messezentrum gedreht. Dabei blieb Gastgeber Sarkozy ununterbrochen neben ihm. Kein einziges Parteimitglied und keine jugendliche UMP-Gruppe aus der Provinz sollte den Regierungschef ausbuhen, der sich geweigert hatte, für Sarkozy als Präsidentschaftskandidaten zu stimmen. Es sollte ein Kongress der Einheit werden, ohne falsche Töne, ohne interne Spaltungen.

Auch Jacques Chirac war nicht da. Der 74-jährige Staatspräsident, der immer noch damit kokettiert, dass er möglicherweise selbst noch einmal kandidiert, schickte nicht einmal eine Grußbotschaft. Dennoch nutzte Sarkozy die Grundsatzrede, um sich als Erben des Älteren darzustellen. Als internationale Großtat – „für die Ehre Frankreichs“ – bezeichnete Sarkozy das Engagement von Jacques Chirac gegen den Irakkrieg.

In den letzten Tagen und Stunden vor dem Kongress hatte Sarkozy es geschafft, auch die Unterstützung der zögerlichsten rechten SpitzenpolitikerInnen zu bekommen. In den Stunden vor seiner eigenen Grundsatzrede heizte ein Minister nach dem anderen die Halle mit an Sarkozy adressierten Unterwerfungserklärungen auf. Die politisch einprägsamste Rede kam von Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie. Erst am Freitag hatte sie auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur verzichtet. Gestern war sie es, die die UMP-Kritik an der sozialistischen Kandidatin vortrug. Die anderen Redner – fast ausnahmslos Männer – drückten sich vor direkter Kritik an Ségolène Royal. Auch Sarkozy vermied, wie schon zuvor, den direkten Angriff auf seine Hauptkonkurrentin. Er nimmt lieber die Männer an der Spitze der PS ins Visier.

Nach zweiwöchiger Abstimmung im Internet wurde gestern Mittag in Paris das Ergebnis der ersten Urabstimmung in einer neogaullistischen Partei für einen Präsidentschaftskandidaten veröffentlicht. Es war zwar keine Überraschung – denn es gab keine GegenkandidatInnen zu Sarkozy –, aber geradezu sowjetisch stark: 98 Prozent der Parteimitglieder stimmten für Sarkozy – bei 69 Prozent Wahlbeteiligung.

Der Mann, der noch vor wenigen Wochen die neogaullistische Bewegung in Frankreich zu spalten drohte, ist jetzt ihr einziger Held. Im Saal gab es kein einziges politisches Transparent, keine einzige Gegenstimme. Es war eine Konsenszeremonie im Stil US-amerikanischer Kongresse.