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TANZ Entertainment mit einer Dosis Kulturkritik: Hofesh Shechters Choreografie „Sun“ beim Festival Foreign Affairs

VON ASTRID KAMINSKI

Drei Symbole für Segen und Fluch im selben Objekt: Sonne, Richard Wagner, Mensch. Zwei Symbole für Gut und Böse: Schaf und Wolf. Ein gebrochenes Sinnbild für Schaf: indigener Stammesmann mit Lanze. Ein gebrochenes Sinnbild für Wolf: Kolonialherr ohne Lanze. Außerdem ein Hoodie und ein Geschäftsmann, die noch verortet werden müssen. In dieser Bilderwelt bewegt sich Hofesh Shechters jüngste Choreografie „Sun“, die nun im Rahmen des Festivals Foreign Affairs in Berlin zu sehen war.

Der in England arbeitende Choreograf ist ein Garant für volle Säle, er ist erfolgreich genug, es sich trotz magerer britischer Subventionen leisten zu können, ein festes Ensemble anzustellen. Vollzeit, Krankenversicherung, bezahlter Urlaub – eine Rarität in der freien Tanzszene. Gerade hat das Royal Ballet eine Choreografie bei ihm bestellt, einschließlich einer Orchester-Partitur. Shechter komponiert die Musik zu seinen Stücken immer selbst.

Charakteristisch für seine Scores ist ihre Lautstärke, ihr peitschender, getriebener, beatbetonter Rhythmus, die oft brachiale Klangqualität, die selbst melodische Linien scheppern und knallen lässt, jegliche Innerlichkeit verweigert. Wenn dieses Prinzip nun als Folie über Wagners „Tannhäuser“ (und so manch anderes) gelegt und mit Dudelsackgeschrei unterlegt wird, entfaltet es eine gewisse Ironie – eine Haltung, die Shechters Choreografien bislang nicht kennzeichneten. In „Sun“ versucht er sich nicht nur musikalisch in Ironie, sondern auch in seiner Bildsprache und im Metatext des Voice-overs. Subtil geht es dabei nicht zu.

Vielleicht dreht es sich in „Sun“ um Lebensfreude und die Frage, was sie moralisch kostet. Die Bühne bevölkern Wesen im Narren- oder Harlekinstil, sie tragen satinglänzende, ecrufarbene Pludergarderobe mit Rüschen, Bommeln, Schleifchen und Perücken. Sie tanzen in drei sich ineinander verschanzenden Bewegungssprachen.

Eines der Idiome entsteht aus einer Mischung aus höfischer Mime und künstlich-ballettösen Port de bras und wechselt in seiner Wirkung zwischen esoterisch formelhaft und narrenhaft infantil: Der Mensch zwischen Zauberlehrling und barockem Idioten. Ein weiteres arbeitet mit Bodyshakes wie in bestimmten Stammestänzen und hüftzentrierten Energieeruptionen, wie sie aus der Schule der Tel Aviver Batsheva-Company bekannt sind, wo Shechter selbst getanzt hat. Dazu kommen Volkstanz-Elemente mit wilden Beinschlenkern und maskulin wirkende Prozessionen mit stromlinienförmig abgetauchten Köpfen, wie man sie auf orgiastischen Simchat-Tora-Feiern sieht. Auffällig ist der Gegensatz des Zeremoniell-Formelhaften und des Ekstatischen – zwei Extreme der Bewusstseinserweiterung.

In diesen tänzerischen Teppich webt Hofesh Shechter seinen Symbolkosmos ein. Schafe werden als lebensgroße Pappfiguren auf die Bühne geschaukelt, der Wolf kommt, es folgt ein gellender Schrei einer in die Publikumsreihen eingeschleusten Darstellerin, dann ein Leintuch, auf das per Lichtkegel eine Sonne projiziert wird.

In der nächsten Runde werden Schafe und Wolf von Stammesmann und Kolonialist ersetzt. Dann kommt der oben erwähnte Hoodie, vielleicht als neuer Feind einer (ein-)gebildeten weißen Selbstherrlichkeit. Statt auf das Sonnenleintuch hält der Lichtkegel nun auf einen Tänzer, wohl als Repräsentanten menschlicher Allmacht. Diese Assoziationskette scheint dann auch dafür verantwortlich zu sein, dass es zwischendrin ein paar ästhetisiert-naturalistische Erschießungs- und Folterszenen gibt.

Kolonialismus ist gerade das große Thema in der Kunst. Shechter greift zu, und das wirkt halb ironisch, halb zynisch. Das Rezept, ebendas künstlerisch abzubilden, was kritisiert werden soll, ist bewährt. Wer eine totalitäre Praxis kritisieren will, setzt eine totalitäre Ästhetik ein. Shechter hat das Prinzip wiederholt angewandt. Seine militarismuskritischen Stücke wie „Uprising“ und „Political Mother“ benutzen eine militärische Bewegungssprache. Die Überwältigungsästhetik von synchronisierten tänzerischen Corps und dominanter Beschallung behält Shechter in „Sun“ bei. Mit Kolonialismus hat das spezifisch nicht viel zu tun. Es scheint, als tanze das Stück in alten Schuhen.