Billiglöhner ins Ferienlager


„Die wenigsten haben doch von den Polen was mitbekommen – weil es nie Ärger gab“

AUS ARCEN HENK RAIJER

Nie wieder Holland. Wütend erledigt Karl-Heinz Zubrowski mit einer Motorsäge die letzten Douglaskiefern, mit denen er 17 Jahre lang sein Revier auf dem Arcener Campingplatz „De Maasvallei“ markiert hat. „Die Schweine sehen mich hier nie wieder“, sagt der 66-jährige Stehcaravanbesitzer aus Gelsenkirchen-Buer. Dabei schaut der füllige Mann in grünem Ölzeug grimmig auf das große Backsteinhaus, das unmittelbar an der Grenze zu Deutschland am Waldrand steht. Und neuerdings jenseits eines zwei Meter hohen grünen Zauns, hinter dem gerade mehrere Dutzend weißer Wohncontainer für polnische Saisonarbeiter aufgestellt werden. „Wenn im April die Polen einziehen, ist es mit der Ruhe hier vorbei“, sagt Zubrowski und lädt das gefällte Grün in seinen Geländewagen. „Bevor mir alles geklaut wird, räume ich doch lieber das Feld.“

Die fristlose Kündigung, die der Betreiber der „Maasvallei“ im September allen Dauercampern ins Ferienhaus schickte und damit hunderte fluchtartig das Weite suchen ließ, traf auch Zubrowskis Nachbarin. Aber die Enddreißigerin aus Wuppertal, die im Nieselregen dieses Januartages vor ihrem Wohnmobil Spermüll von Verwertbarem trennt, sieht die neue Nachbarschaft gelassen. „Geklaut wird auf dem Camping eh schon seit Monaten“, erzählt die Frau mit dem rotblonden Dutt, die nach einer gütlichen Einigung mit dem Resortbesitzer ihren Standplatz noch bis 2008 behalten kann. „Seit dem Weggang der meisten Gäste wird das Gelände ja nicht mehr bewacht.“ Mit den künftigen Bewohnern der Behausungen hinter der grünen Linie hat sie kein Problem. „Warum sollten die Polen hier klauen?“ fragt sie und streicht sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Würden die sonst zu Hungerlöhnen eine Arbeit machen, für die bei uns keiner mehr sein warmes Bett verlässt?“

An die 500 polnische Arbeitskräfte sollen spätestens zum 1. April die geplanten 85 „Chalets“ auf dem Gelände im Naturgebiet westlich von Geldern beziehen. Ausgedacht haben sich dieses Modell „zur Verbesserung der Wohnsituation der ausländischen Arbeitnehmer in der Region“ der Betreiber des Campingplatzes „De Maasvallei“, die ortsansässige Arbeitsverleihfirma Jac Verbeek sowie die Gemeinde Arcen en Velden. Die Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und 45 Jahren sind bereits in Betrieben der näheren Umgebung, auch auf deutscher Seite, beschäftigt und wohnen bisher in kleineren Sammelunterkünften, bei ihren Arbeitgebern in der Scheune oder sogar im eigenen Auto. Schätzungsweise 25.000 ausländische Arbeitskräfte jobben in der südholländischen Grenzprovinz Limburg, noch mal so viele dürften es in den ländlichen Gebieten im äußersten Westen NRWs sein.

Für die Arcener Gemeindeverwaltung ist die Konzentration dieser Gruppe Menschen auf engstem Raum die beste aller Lösungen. „Unser Ziel war es, die Wohnbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte aus der Illegalität zu holen und eine qualitativ hochwertige Unterbringung anzubieten, die es uns zudem ermöglicht, die Sache gut im Auge zu behalten“, sagt Miguel Blokland, der in der Kommune für das Ressort Liegenschaften zuständig ist. Für die Sicherheit der Bewohner und die ihrer Nachbarschaft garantiere die Verleihfirma, die die Arbeitskräfte angestellt hat, für die Qualität der „Chalets“ und die bleibende Trennung der beiden Bereiche durch einen Zaun bürge der Campingbetreiber, so Blokland. Vorerst ist nur das östliche Drittel des Ferien- und Freizeitareals für die Unterbringung der „Gastarbeiter“ reserviert. Die Konzession ist auf zehn Jahre befristet, danach soll das gesamte Campinggelände aufgegeben und der Natur überlassen werden.

„Das glaubt doch kein Mensch“, empört sich Henk Schreuder. Der weißhaarige Rentner bewohnt seit 30 Jahren ein ummauertes Anwesen im Waldstück nebenan und hat wie seine Nachbarn auf deutscher Seite von den anstehenden Änderungen erst aus der Zeitung erfahren. „In einigen Jahren werden es Rumänen und Bulgaren sein, die der Kommune einen Vorwand liefern, einer Erweiterung dieser illegalen Nutzung eines Naturgebietes zuzustimmen“, sagt er. Dabei wühlt er mit dem Absatz eines Gummistiefels den dunklen Sand des Feldwegs auf und zeigt auf den bewaldeteten Streifen zwischen dem Campingplatz und seinem Haus. Für Schreuder und Klaus-Peter Haupt, seinen Nachbarn schräg gegenüber im Wald auf deutscher Seite, hat die Gemeindeverwaltung das Areal auf „äußerst undemokratische Weise umdefiniert“ und dem Campingbetreiber in Gutsherrenart die Erlaubnis erteilt, sämtliche Bäume zu fällen. „Für eine permanente Bewohnung braucht es doch eine Änderung des Flächennutzungsplans und damit eine Debatte im Gemeinderat“, pflichtet der 63-jährige Haupt seinem holländischen Nachbarn bei.

„Das sind meist junge Leute, die arbeiten ja nicht nur, da gibt es garantiert Palaver“

Zusammen mit gut 40 Anwohnern auf beiden Seiten der Grenze haben Schreuder und Haupt nun beim Provinzialgericht in Roermond eine einstweilige Verfügung erwirkt: wegen der ihrer Ansicht nach zustimmungspflichtigen Nutzungsänderung eines als Naturgebiet ausgewiesenen Areals und wegen des Kahlschlags auf dem Gelände, der gegen geltende kommunale Verordnungen verstoße.

Für Miguel Blokland von der Gemeindeverwaltung sind das „Nuancen“. Er hat zwar Verständnis dafür, dass die Anwohner um ihre Ruhe bangen, hält aber, anders als die Kläger, eine Änderung des Flächennutzungsplans und damit eine Befassung durch den Rat der Kommune für überflüssig. „Ob nun Stehcaravans oder Chalets – da besteht doch kein Unterschied“, meint Blokland. Auf den Einwand, es handele sich bei den jüngst aufgestellten Wohncontainern doch nicht um mobile Wohnwagen für Feriengäste, sondern um winterfeste Sammelunterkünfte für polnische Vertragsarbeiter, erwidert der smarte Jurist: „Bedenken Sie die Fluktuation. Die meisten von denen bleiben doch höchstens einige Monate. Außerdem sind auch die Chalets mobil, schließlich wurden sie auf Rädern hierher gebracht.“

Für Klaus-Peter Haupt und Henk Schreuder ist klar: „Die stecken alle unter einer Decke.“ Der Campingbetreiber habe für‘n Appel und ‘n Ei ehemalige Asylbewerberunterkünfte aufgekauft und kompensiere mit dem neuen Geschäft die seit Jahren schwindende Urlauberzahl. Die Zeitarbeitsfirma habe eine gleichbleibende Anzahl von Arbeitskräften auf Abruf dauerhaft an einem Ort konzentriert. Und die Kommune profitiere durch die Kurtaxe von einem Euro pro Tag pro Person. „Das macht locker 200.000 Euro im Jahr“, hat Ex-Lehrer Haupt errechnet.

Natürlich haben die Ruhe verwöhnten Anwohner auch Vorbehalte gegen das, was Klaus-Peter Haupt als „das Lager“ bezeichnet. Henk Schreuder fürchtet den Lärm, den die von früh bis spät an- und abfahrenden Personentransporter machen werden. An die geplanten Lichtmasten mag er gar nicht denken. Nachbar Haupt graut davor, was passieren könnte, wenn im Hochsommer mal einer eine Glasflasche in den Wald pfeffert und damit womöglich einen Waldbrand auslöst. Die Polen selbst halten beide für „arme Schweine“ und Opfer „modernen Sklavenhandels“. Es sei eine Schande, dass so viele Menschen auf so wenig Raum zusammengepfercht würden. „Das sind meist junge Leute, und die arbeiten ja nicht nur“, vermutet Klaus-Peter Haupt, streicht sich durch den grauen Bart und schaut nachdenklich auf den Erdwall am Ende seines Grundstücks. Gleich dahinter zeichnen sich die Flachdächer der Wohncontainer ab. „Da gibt‘s garantiert ständig Palaver.“

„Bevor mir hier alles geklaut wird, räume ich doch lieber gleich das Feld“

Kai Verhaegh versteht die ganze Aufregung nicht. „Das ist wie mit den Asylbewerbern. Man hat kein Problem mit ihnen, solange sie so weit wie möglich von einem entfernt leben“, erklärt der Geschäftsführer der ortsansässigen Zeitarbeitsfirma Verbeek. Die wirbt in Polen Arbeitskräfte an, stellt sie ein, versichert und bezahlt sie und karrt sie in der Grenzregion mit Kleintransportern nach Just-in-time-Verfahren zwischen ihren Arbeitgebern und den Unterkünften hin und her. „Schon seit acht Jahren leben durchschnittlich 700 unserer polnischen Arbeitskäfte auf Zeit in Arcen, und die wenigsten Leute hier haben davon je etwas mitbekommen“, sagt Verhaegh. Und fügt, leicht genervt, hinzu: „Weil es nie Ärger gegeben hat.“

Auch Kai Verhaegh hält die Unterbringung auf „De Maasvallei“ für die beste Lösung, wenn auch für sein Unternehmen nicht gerade die billigste. Doppelt so viel wie für die bisherigen Unterkünfte in der Umgebung werde die Firma dem Campingbetreiber zahlen müssen, so Verhaegh. Doch das sei es ihm wert. „Was Ausstattung und Brandsicherheit betrifft, sind die Chalets im Vergleich einsame Spitze.“ Für Haupt und Schreuder wächst da eher ein Strafgefangenenlager heran. Der grüne Zaun, der sich mitten durch das Gelände zieht und künftig nicht nur den Freizeitbereich, sondern auch den Badesee für die neuen Gäste unerreichbar macht, markiere Apartheid.

Karl-Heinz Zubrowski hat inzwischen seine Satellitenschüssel, meterweise Stromkabel und eine nicht geringe Anzahl von Terracottafliesen in den Fonds seines Autos verstaut. Missmutig schaut er noch einmal auf die paar matschigen Quadratmeter, auf denen mal sein Wohnwagen stand. Den hat er vor Tagen einem Anwohner „weit unter Preis“ verkauft. Zubrowski kurbelt das Fenster hoch, wendet und gibt Gas. Nie wieder Holland.