berliner szenen Warnung für Hausfrauen

Die Matratze

Wir brauchen eine neue Matratze, die alte ist in der feuchten Wohnung durchgeschimmelt. „Diese hier ist aus Naturkautschuk“, sagt der Verkäufer im Bettenladen, „die schimmelt auch in zehn Jahren nicht.“ Wir mustern das Ungetüm von Matratze. Ich trete einen Schritt zurück. Der Verkäufer reagiert sofort. „Die ist ganz leicht“, sagt er, „die kann problemlos von der Hausfrau gewendet werden.“ Ich schaue ihn grimmig an. „Nun ja“, meint er, „es sind ja auch heutzutage“ – er macht hinter dem Wort „heutzutage“ eine Pause – „meistens die Frauen, die die Matratze wenden. Das ist problemlos möglich.“ Er hebt eine Ecke der Matratze an und lässt sie wieder fallen.

Später stehen wir mit der neu erworbenen Matratze vor unserem Haus in der Wisbyer Straße. Dritter Stock, ohne Aufzug. Ich gehe vor, mein Freund schiebt von hinten, die Matratze klemmt zwischen uns. Auf jedem Treppenabsatz verhaken wir uns und kommen erst nach mehreren Wendemanövern um die Kurve. Nach zwanzig Stufen sind wir nass geschwitzt. Im zweiten Stock denke ich, ich werde nie wieder meine Hände bewegen können. Die Armmuskeln zittern, mir ist nach Heulen zumute. Vermutlich habe ich mich noch nie in meinem Leben so angestrengt. Im dritten Stock lehnen wir blass und schweißglänzend am Türrahmen. Meine Finger lassen sich nicht mehr biegen. Sie haben weiße, blaue und rote Kerben.

Mein Freund grinst mich an. „Zum Glück werden Matratzen auch heutzutage noch meistens von der Hausfrau gewendet“, sagt er. Ich überlege kurz, ihn samt Matratze auf eine Rutschpartie die Treppen hinunterzuschicken, entscheide mich dann aber dagegen. Schließlich muss das Ding noch irgendwie in die Wohnung. SANDRA NIERMEYER