Sogar der grimmige Geiger schmunzelt

FADO Die portugiesische Sängerin Mísia bietet bei ihrem Gastspiel im Tipi am Kanzleramt ein neues Programm und ungeahnte Qualitäten

Nachdem alle Sponsoren aufgezählt waren, hatte der Conférencier darum gebeten, die Teelichter auf den Tischchen zu löschen. Dunkelheit. Einsamkeit. Zeit für Fado

Der rotsamtene Vorhang schlug dicke Falten, die Tranchen vom Kalbsrücken waren verzehrt, das erste Glas Chardonnay war geleert. Ostdeutscher Schauspielerinnenadel von Eva-Maria Hagen bis Imogen Kogge hatte ebenso seine Plätze eingenommen wie ein GZSZ-Starlet. Der Rest des Publikums trug immerhin Perlen um den Hals und Stolas um die Schultern, das Haar hochgesteckt (sie) oder die Schläfen geschmackvoll grau meliert (er). Der Conférencier hatte, nachdem alle Sponsoren tapfer aufgezählt waren, darum gebeten, die Teelichter auf den Tischchen zu löschen. Dunkelheit. Einsamkeit. Zeit für Fado. Die Gitarristen waren erschienen, von Kopf bis Fuß in Schwarz, hatten ein erstes Instrumental geplinkert und dabei wahnsinnig wehleidig dreingeblickt. Der ebenfalls komplett schwarz gekleidete, sehr bärtige Violinist blickte sehr düster. Nur der – natürlich auch in Schwarz erschienene – Akkordeonspieler gönnte sich ein leichtes ironisches Lächeln, das kurz über seine Lippen huschte. Da hätte man gewarnt sein können.

Schwarz wie die Nacht

Die Bühne im Tipi am Kanzleramt war also vorbereitet auf einen angemessen dramatischen Abend, als Mísia auf ihr erschien. Das Gesicht leichenblass geschminkt, die Lippen blutrot, das Kleid schwarz, der Umhang schwarz, das Haar schwarz, das gewaltige Geschmeide um den Hals schwarz schillernd, reckte sie das Kinn nach vorn, richtete die geschlossenen Augen nach oben und begann zu singen, dass einem ganz gruselig wurde und man am liebsten schon mal vorsorglich den eigenen Leichenschmaus bestellt hätte. Denn auch wenn man kein Wort Portugiesisch versteht, selbst wenn man niemals zuvor etwas vom Fado gehört haben sollte, würde man doch verstehen, dass es in diesen Liedern immer nur um Tod und Verzweiflung geht, um enttäuschte Liebe und endgültigen Verlust. Und dann, nach dem ersten, fürchterlich traurigen, unglaublich pathetischen Stück, war die schöne, miese Stimmung schon wieder im Eimer.

Denn Mísia, die Erneuerin der portugiesischen Liedtradition Fado, die Hohepriesterin der kunstvoll inszenierten Todessehnsucht, die Zeremonienmeisterin in Moll, riss, nach mittlerweile 55 Lebensjahren im Zeichen der schlechten Laune, einen Witz. Und dann noch einen. Erzählte zwar von ihrem neuen Programm, das hier und heute zum ersten Mal zur Aufführung gelange, „Senhora da noite“ heiße, also „Dame der Nacht“, und das nur mit von Frauen geschriebenen Texten bestückt sei. Erzählte aber auch vom einzeln reisenden Akkordeon und von ihrem Chihuahua, radebrechte niedlich auf Deutsch, begrüßte mal eben die portugiesischen Schlachtenbummler im Publikum und brachte mit einer Anekdote, in der eine erst vor wenigen Monaten verstorbene Freundin, eine Ameise, Heulen in Flugzeugen der Air France, Champagner und Camembert wesentliche Hauptrollen spielen, sogar den grimmigen Geiger zum Schmunzeln.

„So melancholisch, so wunderschön, so dunkel“ sei der Fado, sagte sie dann einmal, und das Publikum seufzte zufrieden, buchte im Geiste schon den nächsten Portugalurlaub und war dennoch froh, zwischen der Turbotragik befreit lachen zu dürfen. Nein, versichert uns Mísia dann nach einem dramatischen Lied und vor einem noch dramatischeren Lied, man könne ja nicht 24 Stunden am Tag in Fado-Stimmung sein. Aber dass sich so übergangslos wechseln lässt zwischen tiefster Trauer und albernster Komik, das war dann doch eine ziemlich große Überraschung an diesem Abend. Also, wenn das mit dem Singen irgendwann nicht mehr klappen sollte, was Gott verhüten möge, dann steht Mísia immer noch eine vielversprechende Karriere als Stand-up-Comedian offen.

THOMAS WINKLER

■  Heute noch einmal um 20 Uhr im Tipi am Kanzleramt