Der Staat zahlt doppelt

Heftige Kritik am Gesetzentwurf zur Privatisierung der Bahn: „Juristischer Amok“

BERLIN taz ■ Um die Zukunft des Schienennetzes in Deutschland gibt es wieder neuen Streit. Denn ein erster Gesetzentwurf aus dem Bundesverkehrsministerium lässt die Deutsche Bahn auch nach der anstehenden Privatisierung faktisch allein über die Gleise bestimmen. Der Bund ist zwar, wie vom Bundestag gefordert, der rechtliche Eigentümer. Doch über 15 Jahre soll die Bahn im Prinzip machen können, was sie will – und erst recht danach. Denn dann soll die Bahn das Netz automatisch bekommen – es sei denn, der Bund zahlt Milliarden an die Bahn. „Das ist für Steuerzahler und Verbraucher unzumutbar“, sagt dazu Rainer Engel, Rechtsexperte beim Fahrgastverband Pro Bahn.

Die Regelungen für das Schienennetz für die Zeit nach der Privatisierung der Bahn sorgten schon während des vergangenen Jahres für heftige Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition. Unionspolitiker wie Wirtschaftsminister Michael Glos wollten, dass Schiene und Bahnhöfe an den Staat gehen, damit mehr Wettbewerb auf den Gleisen entsteht. Die SPD-Minister Wolfgang Tiefensee (Verkehr) und Peer Steinbrück (Finanzen) wollten das Netz beim Bahn-Konzern lassen, um das Unternehmen gegenüber europäischen Konkurrenten zu stärken. Am Ende einigte man sich auf einen Kompromiss: Das Schienennetz gehört zukünftig dem Bund, allerdings erhält die DB AG die Möglichkeit, Schienenverkehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu betreiben und zu bilanzieren. Genaueres soll ein Gesetz regeln, das bis Ende März vorliegen soll.

Der Entwurf aus dem Verkehrsministerium, der der taz vorliegt, sorgt nun für Unruhe. 15 Jahre lang darf die Deutsche Bahn das Netz betreiben und in ihrer Bilanz berücksichtigen – angesichts vieler Grundstücke in Innenstadtlagen ein beträchtliches Anlagevermögen. Und außerdem verzichtet der Bund als Eigentümer auf sein Mitspracherecht durch eine Hauptversammlung. Seine Stimmrechte soll der Staat nämlich der Bahn übertragen. Das bedeutet, dass nur noch bei grundlegenden Entscheidungen der Bund offiziell mitreden darf.

Ebenfalls problematisch: Nach 15 Jahren soll die Bahn automatisch Besitzerin des Netzes werden. Damit würde der von Bahnchef Hartmut Mehdorn favorisierte „Integrierte Konzern“ dann doch Wirklichkeit und das aus Steuermitteln bezahlte Netz gehörte zum privatisierten Unternehmen. Zwar hat der Bund die Möglichkeit, das Netz selbst zu behalten. Doch dann müsste er laut Gesetzentwurf der Deutschen Bahn eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes zahlen. „Ein juristisch unklarer Begriff“, moniert Rechtsexperte Engel. Zumal über den Wert des Bahnnetzes unterschiedliche Angaben gemacht werden. Je nach Bewertung könnten aber auf den Bund Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe zukommen.

Alles in allem widerspricht der Gesetzentwurf Pro Bahn zufolge dem Geist der im Herbst getroffenen Vereinbarung. „Es ist offenbar die Absicht des Tiefensee-Ministeriums, jeden Einfluss des Bundes auf das Schienennetz durch trickreiche Bestimmungen zu unterbinden.“ Es sei nicht zu erwarten, dass der Bundestag diesem Entwurf zustimme.

In der Tat hagelt es bereits Kritik. Winfried Hermann, Verkehrsexperte der Grünen, spricht von Selbstenteignung, sein FDP-Kollege Horst Friedrich von „juristischem Amok“. Und auch in der Regierungskoalition gibt es Widerstand. CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer sagte, eine „Mogelpackung“ würde die Union nicht akzeptieren. Das Ministerium bezeichnete das Papier als „Überlegungen auf der Fachebene“. Bis zum 31. März werde aber ein Gesetzentwurf vorgestellt. STEPHAN KOSCH