Milder Winter lässt Erdölpreise schmelzen

Seit 20 Monaten war Erdöl nicht mehr so billig. Doch lange wird der Preisverfall nicht mehr dauern: Wegen des warmen Winters soll weniger Rohöl gefördert werden. Aber auch Finanzinvestoren und Spekulanten haben ihre Strategie geändert

„Wir werden den Preis unseres wichtigsten Produktes schützen“, sagte Hugo Chávez

VON NICOLA LIEBERT

Öl ist wieder billig, jedenfalls so billig wie seit mehr als anderthalb Jahren nicht mehr. Nicht einmal die vergangene Woche zeitweilig gesperrte russische Ölpipeline Druschba konnte daran etwas ändern. Im Gegenteil, seit Beginn des Jahres fallen die Preise rapide: um rund 13 Prozent auf nur mehr 48,65 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) Erdöl. Diesen Durchschnittspreis gab das Büro der Erdöl exportierenden Länder (Opec) gestern in Wien bekannt. Ein Minus von 38 Prozent ist es seit August 2006, als das Barrel auf den Futures-Märkten, auf denen die künftigen Lieferkontrakte vereinbart werden, seinen Höchststand bei 78,65 US-Dollar erreichte.

Ein wesentlicher Grund für die sinkenden Rohölpreise liegt nahe: der milde Winter dies- und jenseits des Atlantiks. Allein in den letzten beiden Wochen des vergangenen Jahres wuchsen deshalb die Ölreserven in den USA um zwei Millionen Barrel an, meldete das US-Energieministerium. Nach Angaben des Energiefachdienstes EID wurden auf der nördlichen Halbkugel in diesem Winter bisher mindestens 20 Prozent weniger Heizöl verbraucht als sonst üblich.

Aber seltsam: die Ölpreise fallen schon seit dem Sommer, und die Preise für einige andere Rohstoffe wie Kupfer, Aluminium und Zink gerieten ebenfalls ins Rutschen. Das Wetter kann als Erklärung dafür wohl kaum herhalten. „Sieht so aus, als würde jemand einen strategischen Wechsel bei seinem Anlagevermögen vornehmen“, vermutet Bill O’Grady, Energiespezialist bei der US-Investmentfirma AG Edwards. So lässt sich derzeit beobachten, dass Investmentfonds aus Öl aussteigen und dass immer mehr professionelle Anleger auf fallende Kurse wetten. In anderen Worten: die Spekulationswelle, die die Rohstoffpreise nach oben getrieben hat, rollt anscheinend aus.

Schon im Herbst hatte sich die Opec auf niedrigere Fördermengen geeinigt, um den Preisverfall aufzuhalten. Der Beschluss blieb jedoch wirkungslos. Ein neuer Versuch, die Fördermengen zu drosseln, startet die Opec am 1. Februar. Nach Angaben des algerischen Energieministers Chakib Khelil erwägen die Opec-Mitgliedsländer derzeit auch, vor dem nächsten regulären Treffen im März einen Krisengipfel einzuberufen, um Maßnahmen gegen den Preisverfall zu beraten. Ob und wann der Sondergipfel stattfindet, war gestern noch nicht bekannt. Klare Signale für eine Drosselung kommen vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, dessen Land zu den größten Erdölexporteuren der Welt zählt. „Zusammen mit dem Iran werden wir den Preis unseres wichtigsten Produktes schützen“, sagte Chávez bei einem Treffen mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad am Wochenende.

Die Energieinformationsagentur der US-Regierung hält deshalb an ihren Ölpreisvorhersagen für die kommenden Monate unverändert fest. Demnach dürften die Preise 2007 und 2008 halbwegs stabil bei rund 64 Dollar pro Barrel verharren. Denn einerseits rechnet die Energie-Statistikbehörde mit einem geradezu dramatischen Anstieg der weltweiten Nachfrage nach Öl um immerhin 1,5 Millionen Barrel jeden Tag. Das ist fast doppelt so viel wie der Zuwachs im vergangenen Jahr. Andererseits aber dürfte auch das Angebot stark zunehmen, und zwar sowohl von der Opec als auch von anderen Regionen wie dem Kaspischen Meer, Russland, Brasilien, Afrika und den USA selbst.

So optimistisch sind nicht alle Marktbeobachter. Die Wahrscheinlichkeit eines Ölpreisschocks, der eine weltweite Rezession auslösen würde, sei im kommenden Jahrzehnt „relativ hoch“, schätzt der Chef des Rückversicherers Schweizer Rück, Jacques Aigrain. Analysten der ING Bank haben schon einen speziellen Risikofaktor im Auge: „Die Finanzmärkte scheinen derzeit einen Angriff Israels oder der USA gegen den Iran für unwahrscheinlich zu halten“, sagten sie der britischen Financial Times. „Aber angesichts der kriegerischen Rhetorik in Israel und der Aufstockung der US-Truppen in der Golfregion könnten sie da noch einen Schock erleben.“