Normalzeit
: HELMUT HÖGE über das Vermächtnis der Kommune 1

„Aufheben-Fallenlassen-Zusammenkehren“ (Joseph Beuys in Neukölln 1972)

Am 1. Januar 2007 feierte die „Kommune I“ laut dem Internetlexikon Wikipedia ihr 40-jähriges Jubiläum – das heißt nicht die Kommune selbst, sondern das deutsche Feuilleton, deren Redakteure schon seit Anfang 2006 mit den Hufen scharren. Gleich mehrere Fernseh-Sender nahmen Frauenikone Uschi Obermaier unter Vertrag, und die Zeitschrift Stern schaffte es, alle lebenden Kommunarden noch einmal – für 1.000 Euro pro Person – auf einem Berliner Friedhof an den Gräbern der inzwischen verstorbenen zu einem Gruppenfoto zu versammeln.

Die taz, die immerhin einst den Kommunetisch erbte (der ihr dann zwei Mal von Autonomen geklaut und schließlich verbrannt wurde), hatte zu ihrem eigenen 20. Jubiläum einen wunderbaren Text der Kommunardin Dorothea R. in einer Sonderausgabe eingeplant – der dann jedoch im letzten Moment durch einen völlig inhaltsleeren der grünen Renegatin Antje Vollmer ausgetauscht wurde. Und nicht nur das: R.s Text ging auch für immer verloren!

Die Ärztin Dorothea R. ist jedoch bis heute kommunardisch gestimmt. Ihr Text handelte zunächst von ihrem Job in einem Wilmersdorfer Bordell. Sie wohnte damals noch zusammen mit Rudi Dutschke im SDS-Zentrum am Kurfürstendamm. Der Frühaufsteher Dutschke saß immer schon am Frühstückstisch, wenn sie von der Arbeit kam. Gelegentlich verscheuchte er allzu anhängliche Freier, die ihr bis ins SDS-Zentrum gefolgt waren.

Der Ausschluss der Kommunarden aus dem SDS sowie auch dessen Selbstauflösung selbst erfolgten später. Dieser ging quasi in der internationalen Bewegung auf – und unter –, die sich wie eine Epidemie globalisierte, bis in den Ostblock hinein. Aber die Ansteckung ließ irgendwann nach. Heute sind die meisten jungen Menschen immunisiert gegen antiautoritäre Erreger.

Dafür, und damit das so bleibt, wird nun die ganze Geschichte von oben umgedeutet. Während der heutige taz-Autor Christian Semler auf die Frage des SDSlers Peter Rambauseck, wie er sich den dogmatisch-erregten Maoismus (mit anschließender Parteigründung, deren Vorsitzender er dann wurde) erklären würde, noch antwortete: „Das ist mir rätselhaft“, hauen die Renegaten des Hamburger Reemtsma-Instituts eine „Aufarbeitung“ der Studentenbewegung nach der anderen raus. Allein die letzte, gerade zu Weihnachten erschienene Publikation über die RAF wiegt mit Schuber drei Kilo.

Daneben nimmt sich die kritische Gesamtausgabe des damaligen zentralen Straßenorgans agit 883 inklusive CD mit höchstens 500 Gramm bescheiden aus. Der besonders in Berlin verehrte Autonome Markus Mohr stellte es mit einigen anderen Genossen zusammen. Zwar ist auch dieses Buch noch allzu politisch korrekt ausgefallen. Aber immerhin handelte sich Mohr während der Arbeit daran einige Monate lang ein Hausverbot im Reemtsma-Institut ein, das inzwischen einen großen Teil des „Nachlasses“ der Studentenbewegung verwaltet.

Die heutige 883, die zuletzt von den Anarchisten Bernd Kramer, Hans-Jörg Viesel und Thomas Knauf herausgegeben wurde, heißt interim. Sie versucht allerdings nicht mehr, die auseinanderdriftenden Teile der linken Bewegung zusammenzudeckeln, sondern sammelt nunmehr die letzten Reste beziehungsweise die ersten Neuanfänge ein. Aber noch immer reicht das Spektrum von Knast- und Flüchtlingsinitiativen bis hin zu militanten Gruppen (nun „mgs“ genannt). Gleichfalls versucht man einen in der Bewegung aufgehenden Journalismus hinzukriegen – schon allein, um der politischen Polizei sowie dem staatsanwaltlichen Vorwurf der kriminellen Vereinigung zu entkommen. Während die taz im Rudi-Dutschke-Haus umgekehrt der Anonymisierung entgegenwirkt – durch „Professionalisierung“.

In den 70er-Jahren ging es – nach einer von Joschka Fischer aus dem Amerikanischen übersetzten chinesischen Harvard-Dissertation – noch um die „Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit“. Die Fragmentierung des Alltags, der die Kommune 1 mit der Überwindung der Trennung von politischer Aktion und privatem Leben entgegentrat, geht heute aber noch weiter, hin zur Simulierung aller Lebensbereiche. Immerhin ist inzwischen sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland der propagierte Staatssozialismus dort und der basisbewegte Terrorismus hier einer gewissen Nachgiebigkeit gewichen: Hüben wie drüben weiß man nicht mehr so recht, wie es weitergehen soll – obwohl oder gerade weil schier überall die Kacke am Dampfen ist.