BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Zeit und Geld

Alle Empörung über Scientology ist ideale Werbung – weil es an echten Informationen mangelt

Otto-Suhr-Allee, Berlin-Charlottenburg. „Warst Du schon drin?“, fragt Leonie vor einem großen, hell erleuchteten Gebäude.

„Ich will mir das unbedingt anschauen. Alle reden davon, und ich weiß eigentlich gar nichts darüber.“

Nora schaltet, wechselt die Spur. „Ja, ich will da auch rein. Soll aber angeblich 20 Euro Eintritt kosten. Ob es mir das wert ist, muss ich mir noch überlegen.“ Wir haben gerade die neue Deutschland-Zentrale von Scientology passiert.

Also die Zentrale der Sekte – des Wirtschaftsunternehmens – der Religionsgemeinschaft – der Organisation, vor der jetzt in Berlin alle ganz viel Angst haben, die man in ein Mikrofon oder in eine Kamera sprechen lässt.

Leonie und Nora machen in diesem Jahr Abitur und sind nicht gerade die klassische Zielgruppe für Rattenfänger. Nüchtern, sachlich, selbstbewusst.

Der Schauspieler Tom Cruise, einer der prominentesten Vertreter von Scientology, geht ihnen mit seinem exaltierten Gehabe auf die Nerven.

Beide haben im Augenblick wahrlich anderes im Kopf als den Wunsch, sich von einer Sekte anwerben zu lassen. Warum wollen sie sich trotzdem zu Scientology begeben und erwägen sogar, 20 Euro dafür auszugeben? Weil man ihnen beigebracht hat, Urteile nicht kritiklos einfach so hinzunehmen. Sondern sich zu informieren.

Die Medien sind da keine große Hilfe. Zwar brechen ungezählte Warnungen in diesen Tagen über Fernsehzuschauer, Radiohörer und Zeitungsleser herein, aber dabei bleibt es dann meist auch.

Alle schreien „huch“ – aber das Entsetzen ist merkwürdig vage. Wer nicht vorher schon gut informiert war, weiß trotz aller Empörung noch immer nicht so recht, worin genau die Gefahr denn nun eigentlich besteht.

Nur ein Argument wird immer wieder vorgebracht: dass Scientology schon deshalb keine Religionsgemeinschaft sei, weil die Organisation auch wirtschaftliche Interessen verfolge.

Bei allem gebotenen Respekt vor der katholischen Kirche – wenn das ein Ausschlusskriterium ist, dann wird es ziemlich eng für den Vatikan.

Die Berührungsängste gegenüber den Anhängern der Sekte sind so groß, dass selbst die einfachsten journalistischen Grundregeln nicht mehr beachtet werden.

Am Samstagvormittag läuft im Berliner Fernsehsender TVB eine Talkshow mit Journalisten. Die sind alle gegen Scientology.

Wen das interessiert, der sieht die Sendung mit Gewinn.

Wer gerne ein bisschen mehr über die Organisation und ihr Gedankengebäude erfahren, vielleicht auch einem ihrer Vertreter zuhören würde, wird enttäuscht.

Abscheu und Empörung scheinen die Programmverantwortlichen für ein hinreichendes Sendekonzept zu halten.

Eine bessere Werbung kann sich Scientology kaum wünschen, wie sich an Leonie und Nora zeigt.

Ich verstehe die beiden Mädchen gut. Sehr gut sogar.

Vor etwa 25 Jahren hat mich der Wunsch, mehr über diese Sekte zu erfahren, die alle ablehnten und über die niemand Genaueres wusste, noch Zeit und Geld gekostet.

Gemeinsam mit einer Freundin habe ich mich als Studentin von Scientology zu einem Psychotest und einer Einführungsveranstaltung anwerben lassen.

Deshalb weiß ich auch, dass alle Ängste vor der Organisation begründet sind.

Ja, es wird psychischer Druck auf potenzielle neue Mitglieder ausgeübt. Ja, das kann ziemlich schnell ziemlich gefährlich werden.

Wir haben damals Glück gehabt. Wir hatten gar nicht genug Geld, um uns weiter erleuchten zu lassen, und wir waren für die Lehre ohnehin nicht besonders empfänglich.

Aber es hätte auch schiefgehen können.

Etwas mehr sachliche Information und etwas weniger öffentliche Empörung hätte uns davor bewahrt, uns auf eine riskante Situation einzulassen.

Viel dazu gelernt haben die Gegner der Sekte seither offenbar nicht.

Angst vor der Sekte? kolumne@taz.de Morgen: Jan Feddersen PARALLELWELTEN