Alpha-Tiere ohne Leine

Der CSU-Machtkampf hat einen „schmutzigen“ Höhepunkt: Horst Seehofer führt laut „Bild“ ein Doppelleben. Eins haben seine Gegner dabei nicht bedacht: Eine Geliebte ist sogar in der CSU erlaubt

VON MARTIN REICHERT

Jetzt ist es also raus, auf Seite eins der Bild-Zeitung: „Minister Seehofer. Baby mit heimlicher Geliebten!“, schreit es so laut, dass Petra Gersters ehemaliger „Riesentumor“ gleich daneben ganz klein wirkt.

Journalisten und sonstige „Insider“ können da eigentlich nur müde abwinken, denn nicht der Sachverhalt, sondern die Tatsache, dass Bild mal wieder die Drecksarbeit übernommen hat, als Erste darüber zu berichten, ist das Thema. In Wildbad Kreuth war Seehofers Verhältnis mit einer kryptisch als „Bundestagsangestellten“ titulierten Dame – bei der es sich, kryptisch ausgedrückt, um die Sekretärin eines bekannten CDU-Politikers mit Doppelnamen handeln soll – längst Tratschthema Nr. 1. Nur schreiben wollte keiner darüber – zu unseriös. Obwohl sich aus einer solchen Information ja immer etwas machen lässt, insbesondere bei konservativ-christlichen Politikern, die gerne öffentlich die Werte der Familie hochhalten und gegen Patchwork-Familie und Homo-Ehe agitieren. Gar zu schön die Widersprüche, die solcherlei private Patchwork-Konzepte aufwerfen.

Doch im Fall Seehofer kommt es noch doller: Fast schon zu offensichtlich erscheinen die Parallelen zu den Zeiten der letzten großen Götterdämmerung in München, als Edmund Stoiber und Theo Waigel um die Nachfolge des angeschlagenen Max Streibl rangen. Und urplötzlich aus dunklen Quellen die Information, dass Theo Waigel eine Geliebte habe, an die Boulevard-Medien herangetragen wurde – Stoiber wurde Ministerpräsident. Doch trotz allem Hohn und Spott, dem sich der noch amtierende bayerische Ministerpräsident derzeit ausgesetzt sieht: Könnte er wirklich so dämlich sein, sich in den Verdacht zu setzten, diese Karte schon wieder auszuspielen? Jetzt, nachdem ihn schon die Spitzelaffäre um die „schöne Landrätin“ – auch Gabriele Pauli sollten schließlich sexuelle Fehltritte nachgewiesen werden – fast Kopf und Kragen gekostet hätte? In machiavellistischen Angelegenheiten Kundige gehen daher eher davon aus, dass es darum geht, den Eindruck zu erwecken, dass die Information von Stoiber stamme, um diesen zu beschädigen. Gabriele Pauli hat es jedenfalls zumindest auf Seite 2 der Bild geschafft, mit der Vermutung, es „gebe offensichtlich ein Interesse, Seehofer aus dem Rennen zu drängen“.

Zu kompliziert? Nicht unbedingt, denn das eigentliche Instrument der sexuellen Denunziation des politischen Gegners, so alt wie die Politik selbst, ist in den vergangenen Jahren stumpf geworden. Sogar der bayerische Innenminister Günther Beckstein, neben Seehofer weiterer Anwärter auf den wahrscheinlich vakant werdenden Thron Stoibers, sagt, dass außereheliche Affären vor 50 Jahren ein Stein des Anstoßes gewesen seien, heute jedoch nicht mehr: „Nur derjenige, der nie Fehler macht, darf Steine werfen.“ Hört, hört – doch schließlich hat auch Parteifreund Waigel die damalige Affäre langfristig sehr gut überstanden und ist heute glücklich verheiratet. Mit seiner Exgeliebten. Auch im konservativ-katholischen Bayern muss längst niemand mehr das Schicksal der Lola Montez teilen, dereinst Geliebte von König Ludwig I., die nach der Märzrevolution von 1848 verbannt wurde und später völlig verarmt in New York starb.

Auch Edmund Stoiber zeigt sich „entrüstet“ über die Berichterstattung und steht zu seinem „politischen Alpha-Tier“ Seehofer – Alpha-Tiere tendieren eben dazu, sich fortzupflanzen, und sei es außerehelich. Mögen CSU-Politiker sich auch noch so sehr gegen eine gesellschaftspolitische Modernisierung stemmen, am Ende profitieren auch sie von dieser Entwicklung.

Das journalistische Tontauben-Schießen mit sexueller Munition ist nicht mehr tödlich, sondern allenfalls geeignet, den Bedarf an lustvollem Tratsch zu bedienen. Die Sau, die zuletzt durchs Dorf gejagt wurde, der EU-Kommissar Günter Verheugen, ist jedenfalls noch in Amt und Würden. Die wahrscheinlich aus Kreisen missgünstiger EU-Bürokraten an die Öffentlichkeit lancierte Information über ein Verhältnis Verheugens zu seiner jetzigen Kabinettschefin Petra Erler war als Abreibung gedacht. Zurück bleibt ein Verheugen, der nicht mehr ganz so langweilig wirkt wie früher.

Auch der Klassiker der sexuellen Denunziation, ein Outing des politischen Gegners als Homosexueller, funktioniert nicht mehr, zumindest in Deutschland nicht. Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit kam einer angekündigten „Schmutzkampagne“ der Boulevardmedien mit seinem „Ich bin schwul und das ist gut so“ zuvor. Auch der Hamburger Bürgermeisterkollege Ole von Beust hat den Erpressungsversuch seines Exsenators Schill gut bis sehr gut überstanden – das eigentliche Outing übernahm sein inzwischen verstorbener Vater in einem Zeitungsinterview.

Den BürgerInnen bleibt am Ende mal wieder nur der traurige Gemeinplatz, dass es sich bei der Politik um ein „schmutziges Geschäft“ handele – das immer guten Gesprächsstoff garantiert.