Kein frischer Wind im Europaparlament

Wie zuvor abgesprochen wird der Deutsche Hans-Gert Pöttering neuer Präsident des EU-Parlaments

BRÜSSEL taz ■ Eine kleine Überraschung gab es dann doch. Monica Frassoni, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, schaffte im ersten Wahlgang 145 Stimmen. Mit einem Appell in fünf Sprachen für frischen Wind im Europaparlament und gegen die lähmenden Absprachen der großen Parteien hatte sie sich um den Posten der Parlamentspräsidentin beworben und damit weit mehr Abgeordnete überzeugen können als die 42 Mitglieder ihrer eigenen Fraktion.

Für den deutschen Konservativen Hans-Gert Pöttering reichte es dennoch bequem zur absoluten Mehrheit. So sicher konnte er sich der Unterstützung seiner Parteifreunde sowie der Sozialisten und der Liberalen sein, dass er schon Glückwünsche entgegennahm, bevor die Stimmen ausgezählt waren. Zu Beginn der Legislatur hatten sich im Juni 2004 Konservative und Sozialisten darauf geeinigt, zunächst für die halbe Wahlperiode den spanischen Sozialisten Josep Borrell und danach Pöttering zum Parlamentspräsidenten zu wählen.

Als Borrell am Vortag als letzte Amtshandlung die Flaggen der neuen EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien im Plenum aufpflanzte, wurde der feierliche Moment allerdings durch eine bittere Pille getrübt: Der EU-Beitritt der beiden südosteuropäischen Länder hat den rechtsextremen Flügel im Parlament gestärkt. Die Gruppe hat nun zwanzig Mitglieder aus sieben Ländern und konnte entsprechend der Geschäftsordnung Fraktionsstatus beanspruchen.

Es wäre aber unfair, die jungen Demokratien für dieses Debakel allein verantwortlich zu machen. Schließlich gehörten schon zuvor 14 Rechtsextreme aus Österreich, Italien, Frankreich, Belgien und Großbritannien dem EU-Parlament an. Vor 1994 hatten die Ultrarechten sogar schon einmal Fraktionsstatus – ganz ohne Beteiligung von Politikern aus Osteuropa. Bedenklich ist aber der hohe Prozentsatz, mit dem die Ultrarechten bei den neuen EU-Staaten zu Buche schlagen. Von 53 Abgeordneten stellen sie elf Prozent. Demgegenüber fielen die 14 Unbelehrbaren im ursprünglichen Plenum von 732 Abgeordneten kaum ins Gewicht.

Die anderen Fraktionen überlegen nun, wie sie im parlamentarischen Alltag auf die neue Situation reagieren sollen. Rein rechnerisch darf die Mini-Fraktion zwei stellvertretende Ausschussvorsitzende stellen. Ihre Bestätigung durch den jeweiligen Ausschuss gilt eigentlich als reine Formsache. „Man wird sie in irgendeinen Gurkenausschuss abschieben“, vermutete gestern ein konservativer Abgeordneter. Eine Ablehnung der Ultrarechten durch die jeweilige Ausschussmehrheit verschaffe ihnen mehr Aufmerksamkeit als nötig. Ähnlich äußerte sich auch der neue Parlamentspräsident Pöttering in ersten Interviews.

Der Vorsitzende der Sozialisten, Martin Schulz, empfahl den Mitgliedern seiner Fraktion dagegen, die neuen Vizevorsitzenden bei der Gründung der Ausschüsse nächste Woche abzulehnen. Er scheint sich schon für Wortgefechte mit dem neuen Fraktionsvorsitzenden Bruno Gollnisch warmzulaufen, der ihn als „Totalitaristen“ beschimpft hatte. DANIELA WEINGÄRTNER

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