Dunkle Sonnenstadt

ZENSURLAND BELARUS Deutschland ist Gastland bei der Buchmesse in Minsk und will Farbe bekennen

Vor der Revolution in Kairo habe Luka- schenko keine Angst

Christof Weil ist die Sache nicht geheuer. Gerade erst hat die Europäische Union Sanktionen gegen das Regime von Alexander Lukaschenko verhängt, und nun soll der deutsche Botschafter in Minsk die dortige Buchmesse eröffnen. „Deutschland zeigt Farbe“ heißt das Motto, unter dem seine Botschaft, das Goethe-Institut und die Frankfurter Buchmesse bis Sonntag das Bücher- und Leseland Deutschland im Zensurland Belarus vorstellen. Dem deutschen Gastlandauftritt 2011 folgen im nächsten Jahr Venezuela und 2013 der Iran. Also macht Christof Weil gute Mine zum bösen Spiel – und erinnert an Johannes Gutenberg, „der als Buchdrucker und Demokrat einst das Buch dem Zugriff einer privilegierten Minderheit entriss“.

Ein diplomatischer Drahtseilakt in einer Stadt, der es schwerfällt, zur Normalität zurückzukehren nach der brutalen Niederschlagung der Oppositionsbewegung am Wahlabend des 19. Dezember 2010. Ist der deutsche Gastlandauftritt, der lange zuvor beschlossen wurde, nun Teil des Dialogs mit der belarussischen Zivilgesellschaft? Oder ist er Teil einer Inszenierung des Regimes, das bei der Eröffnung durch den Kulturminister und den Informationsminister vertreten ist? Auch ich muss mich der Frage stellen. Auf der Messe werde ich die belarussische Ausgabe meines Buches über die Memel vorstellen. Als mich der russische Fernsehsender MIR im Interview fragt, was mir zum Thema Meinungsfreiheit in Belarus einfällt, weiche ich aus, sage: „Ein Fluss kennt keine Grenzen, er bewegt sich frei. So sollte es auch mit den Gedanken sein.“ Die russische Kollegin nickt aufmunternd, die Vertreterin des belarussischen Staatsfernsehens schaltet auf grimmig.

Am Abend vor der Eröffnung hatte das Goethe-Institut eine Theatergruppe gebeten, deutsche Gedichte szenisch vorzutragen. Die Inszenierung war beklemmend. Die Textpassagen gerieten zu Endlosschleifen, die Vortragenden zu Marionetten derer, die unsichtbar die Strippen ziehen. Die Kälte kroch in alle Ritzen, am Ende blieb den Schauspielern nur, sich einzuhüllen wie in einen Kokon. Zuvor hatte mich jemand gefragt, ob mir ein Unterschied auffalle zwischen Belarus vor dem 19. Dezember und danach. Vielleicht hätte es eine solche Inszenierung vorher nicht gegeben, antwortete ich. Hinterher erfuhr ich, dass sie schon lange im Repertoire des Ensembles steht. Weißrussland ist dieser Tage auch eine Projektionsfläche für allerhand Spekulationen. Selbst einige Mitglieder des diplomatischen Corps haben die Koffer gepackt und das Auto vollgetankt.

Artur Klinau ist dieses Mal nicht dabei. Vor zwei Jahren habe ich den Autor der „Sonnenstadt der Träume“, des vielleicht besten Buches über Minsk, am Stand seines Verlags „Partisan“ besucht. Damals herrschte noch Tauwetter im Reich des Alexander Lukaschenko. Nun ist für Partisanen kein Platz mehr. Umso größer ist der Stand des Gastlandes. Bücher über ökologisches Bauen stellt Deutschland aus, „Bücher, über die man spricht“, und aktuelle Neuerscheinungen. Kathrin Schmidt wird aus der belarussischen Ausgabe von „Du stirbst nicht“ lesen und Clemens Meyer aus seinem Tagebuch „Gewalten“. Ob der deutsche Auftritt stattfinden würde, war bis zuletzt unklar. Unklar war sich auch der Geldgeber. Also ließ der Außenminister den Dingen ihren Lauf. Der Leidtragende war der deutsche Botschafter, der dem Zensurminister und dem Kulturminister die Hand schütteln musste.

Farbe zeigt vor allem das Goethe-Institut. Zum Eröffnungsabend empfiehlt die Institutsleiterin einen Besuch der Galerie „Y“. Dort soll Alhierd Bacharevi aus seinem Buch „Die Elster auf dem Galgen“ lesen, das in Deutschland soeben im Leipziger Literaturverlag erschien. Es handelt von der jungen Weißrussin Vieranika, die beim Geheimdienst KGB anheuert, während ihr Freund den Weg zur Opposition findet – und das Land schließlich verlässt. Weil die Galerie nicht leicht zu finden ist, zeigt mir eine andere junge Weißrussin den Weg durch zahlreiche Hinterhöfe – und erzählt mir, wie sie nach der Demo vom 19. Dezember von der Uni flog. Jetzt will sie an der Europäischen Humanistischen Universität studieren, die Lukaschenko einst schließen ließ und im Exil in Vilnius eine neue Heimat gefunden hat.

Bacharevis Lesung ist das Kontrastprogramm zur offiziellen Buchmesse. Dicht gedrängt stehen die jungen Leute und lauschen dem Text, anders als in Deutschland will die anschließende Diskussion nicht enden. In den Buchregalen der Galerie „Y“ stehen nur wenig deutsche Titel. Einer heißt „Ägypten. Das Land der Pharaonen“, der andere „Götterdämmerung“. Ein Omen? Nein, sagt ein junger Mann. Vor der Revolution in Kairo habe Lukaschenko keine Angst. Weitaus mehr mache ihm hingegen der Sturz des kirgisischen Diktators Bakijew zu schaffen. Seit dem Machtwechsel in Bischkek befindet sich Bakijew in Minsk – und damit in guter Gesellschaft.

UWE RADA