SO EINE HARLEY, DAS IST NICHT IRGENDEIN MOTORRAD. UND DRAUF ZU FAHREN, NUN, DAS IST WIE GESCHLECHTSVERKEHR. SAGT NICHT DIE KOLUMNISTIN, DENN SIE WEISS SO WAS NICHT. SIE HÖRT’S BLOSS UND NICKT
: Auf Hamburgs endlosen Highways

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Ein Motorrad. Nicht irgendein Motorrad. Eine Harley Davidson. Langsam und blubbernd ist sie durch meine Straße gefahren, und der Mann, der sie fuhr, war dick und alt. Er trug Lederkleidung, und ich dachte mir, er ist vielleicht Zahnarzt oder Anwalt und ist jetzt in Rente und fährt jetzt dieses Motorrad. Vielleicht fuhr er es auch schon vorher. Auf jeden Fall hat er das Geld gehabt, das er haben musste, um es sich zu leisten. Es ist ein Hobby für Reiche oder eines für weniger Reiche, die all ihr Geld und all ihre Schulden in ein Motorrad stecken.

Am Wochenende trafen sie sich, die Harley-Fahrer, in Hamburg, bei den Harley Days. Wer eine Harley fährt, der möchte nicht einfach nur ein Motorrad fahren, der möchte auch einen Traum leben, und er möchte dazugehören, er möchte vielleicht, in seiner Fantasie, wie Dennis Hopper, die endlosen amerikanischen Highways entlangfahren, ein wenig traurig, aber cool und vor allem männlich. In Hamburg hat sich sich ein kleiner, aber auch sehr cooler Mann als Fan gezeigt, nämlich Peter Maffay, der die Parade der Freiheitsfreunde anführte.

Wie fühlt es sich an, ein teures Motorrad zwischen den Schenkeln zu haben, von dem man weiß, dass es so exklusiv ist, dass es einen gleich mit exklusiv macht? Ein Eingeweihter sein. Ein Mitglied der Familie. Und natürlich macht es das gar nicht aus. Natürlich ist das ein Gefühlsding. So eine Harley gibt auch einzigartige Geräusche von sich, und das Fahren mit ihr, das ist vergleichbar mit Geschlechtsverkehr. Sage ich nicht. Ich weiß es nicht. Ich höre nur zu und nicke. Sollte man vielleicht mal ausprobieren. Nichts gegen Geschlechtsverkehr – aber wenn es Ersatz geben sollte?

Auch in anderen Kreisen als denen verrenteter Zahnärzte und Anwälte sind diese Fahrzeuge beliebt. Hier sogar bei etwas jüngeren und besser gebauten Männern, die immer so Westen tragen, die sich Kutten nennen, auf denen ihre Clique aufgestickt ist. Die heißt dann „Hells Angels“ oder „Bandidos“. Das sind so Piraten- oder Cowboyklubs von Jungs, die älter geworden sind, sich ganz viel tätowiert haben und Muskeln angeturnt. Die böse gucken und von denen alle wissen, dass sie auch vor krimineller Gewalt nicht zurückschrecken.

Diese Männer fahren Harley und möglicherweise haben auch sie den Film „Easy Rider“ gesehen. Ich weiß nicht, wie sie leben, was sie arbeiten und worum es ihnen geht. Ich denke, es fühlt sich schön für sie an, wenn sich andere Menschen, die nicht solche Muskeln haben und auch nicht so kriminell eingestellt sind, vor ihnen fürchten und ihnen auch lieber nicht die Meinung sagen. Ich denke, so ein Hells Angel findet es fast so gut wie Geschlechtsverkehr, wenn ein anderer Mensch Angst vor ihm hat. Oder schnell wegguckt. Das muss fast wie Orgasmus sein.

Damit diese anderen Menschen sich nicht so viele schlechte Gedanken machen müssen, hat das Land Schleswig Holstein jetzt den Hells Angels das Tragen ihrer Kutten verboten. Und in Wilhelmshaven hat der Oberbürgermeister gleich jedem Rocker das Tragen der Kutte auf dem Hafenfest verboten.

Wenn die Leute den Rocker als solchen nicht erkennen, zeigen sie vielleicht nicht den nötigen Respekt und dann ist der Rocker möglicherweise unbefriedigt. Respekt ist eines der Hauptsachen, die er haben will. Und damit beabsichtigt das Land Schleswig-Holstein, den Hells Angel – und der Oberbürgermeister von Wilhelmshaven den Kuttenrocker an sich – etwas zu demütigen oder vielleicht sogar gleich ganz fern zu halten. Denn geht der Hells Angel aus dem Haus ohne seine Kutte? Ist er dann noch ein Hells Angel, wenn er keine Kutte trägt – und zum Beispiel mal Fahrrad fährt?Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen