In der Urne zurück zur Natur

Durch Veränderungen im „Beisetzungsverhalten“ sehen sich viele Friedhofsverwaltungen mit Leerstand konfrontiert. Urnen nehmen weniger Platz ein. Die Stadt Lünen geht innovative Wege

Blechurnen sind nach zwei Jahren durchge-rostet und der Inhalt wertvoller Dünger

VON LUTZ DEBUS

Auf den Friedhöfen wird es zunehmend leerer. Dies, so sagt Thomas Herkert von der Stadtverwaltung Lünen, liege nicht etwa daran, dass weniger Menschen sterben. Sowohl die Bevölkerungs- wie auch die Beisetzungszahlen seien in der Kleinstadt nördlich von Dortmund nur leicht rückläufig.

„Ursache dieser Entwicklung ist die radikale Veränderung des Beisetzungsverhaltens“, erklärt der diplomierte Freiraumplaner in ordentlichem Behördendeutsch. Inzwischen würden 30 bis 40 Prozent der Verstorbenen in einer Urne ihre letzte Ruhestätte finden. Früher waren es etwa sechs Prozent, bei der katholischen Bevölkerung tendierte die Zahl sogar gegen null.

Die Werte haben sich gewandelt, lautet die Einschätzung des Sachbearbeiters aus dem Technischen Rathaus. Nicht jeder Angehörige mag sich mehr um eine Grabstätte kümmern. Das Andenken an einen Verstorbenen, so die inzwischen verbreitete Einschätzung, könne auch ohne Blumenpracht, Lebensbaum und Efeu bewahrt bleiben. Und eine Einäscherung sei viel billiger als eine Erdbestattung.

Ein Urnengrab benötigt mit etwa einem Quadratmeter nur ein Drittel der Fläche, die eine konventionelle Ruhestätte braucht. Die Folge des Trends zur Urne ist also Leerstand. Ähnlich wie die Stadtplaner im Ruhrgebiet, wo Baulücken durch den demographischen Wandel entstehen, haben auch Friedhofsverantwortliche mit Brachflächen zu kämpfen. Da Friedhöfe durch die zu entrichtenden Gebühren finanziert werden, würden diese, so rechnet Thomas Herkert vor, in den kommenden Jahren enorm steigen. Die frei werdenden Flächen müssten personal- und kostenintensiv bewirtschaftet werden.

Rasenmähen ist, kommunalpolitisch gesehen, eine teure Aufgabe. So hatte man in Lünen die Idee, die städtische Friedhofsfläche zu verringern. Rechtlich ist es nicht möglich, daraus Bauland zu machen. Auch wäre dies, so Herkert, geschmacklos. Einer Aufforstung stehe aber nichts im Wege. Der ohnehin waldarmen Gegend, so die Einschätzung der Friedhofsbehörde, würden ein paar Bäume ganz gut tun. Allerdings war die Umsetzung dieses Planes nicht ganz einfach. Menschen sterben nicht synchron. Ehepartner möchten in einer gemeinsamen Grabstätte beigesetzt werden. So war der erste Schritt des Projektes im Jahre 1997, die Wahlgräber abzuschaffen. Zuvor konnten sich die Bürger Lünens schon zu Lebzeiten eine Parzelle aussuchen. Durch die amtliche Vergabe der Grabstätten können nun allmählich große zusammenhängende Flächen stillgelegt werden.

Vor drei Jahren begann man dann mit der ersten Aufforstung. In die schweren westfälischen Böden pflanzte man Eichen und Hainbuchen, in die leichteren Buchen. Um sofort einen natürlichen Waldboden zu erhalten, wurde um die etwa 1,50 Meter hohen Bäumchen städtisches Laub drapiert. „Bei dem ersten Sturm flogen die Blätter weg und bedeckten die benachbarten Gräber. Da gab es viele Beschwerden“, erinnert sich Thomas Herkert mit Grauen. „Aber aus Fehlern wird man klug.“ Bei weiteren Pflanzaktionen wurde dem Laub Häcksel beigemischt. Inzwischen hat man auf diese Weise 18 Prozent der Friedhofsfläche renaturiert, ein in NRW wohl einzigartiger Erfolg. 60.000 Quadratmeter Wald sind so dem Ballungsraum des nördlichen Ruhrgebietes geschenkt worden.

Rasenmähen ist, kommunalpolitisch betrachtet, eine teure Aufgabe

Die Stadtverwaltung hat mit der fleißigen Aufforstungsarbeit ihres obersten Friedhofsgärtners zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Durch die Flächenreduzierung konnten nicht nur die Friedhofsgebühren günstig bleiben. Rechtlich ist die Stadt verpflichtet, bei Baumaßnahmen die damit verbundene Bodenversiegelung an anderer Stelle auszugleichen. Wenn also eine neue Straße gebaut wird, muss an anderer Stelle Fläche entsiegelt werden. Allerdings können auch bestehende Flächen aufgewertet werden. Um dies zu berechnen, so erklärt Thomas Herkert, gebe es ein spezielles Punktsystem. Betonierte Fläche zähle null Punkte, Gärten und Friedhöfe 0,2 bis 0,3 Punkte, junger Wald aber schon 0,7 Punkte. So kann durch die Umwidmung der Friedhofsfläche die Zubetonierung der Stadt ein wenig kompensiert werden. Die schrumpfenden Friedhöfe ermöglichen den bedenkenlosen Ausbau mancher Umgehungsstraße.

Die Friedhofspläne in Lünen gehen aber noch weiter. Man will auch Urnenbestattungen in den neu angelegten Wäldern zulassen. Der Begriff „Friedwald“ sei, so Herkert, geschützt und könne deshalb nicht benutzt werden. Aber für die zukünftigen Baumgräber wurden schon extra große Eichen von fünf Metern Höhe angepflanzt. Die kleinen Löcher für die Urnen schaden den Wurzeln der Bäume nicht.

Ein erfahrener Gärtner weiß zu berichten, dass Bäume in solch einer Umgebung besonders gut wachsen. Die Blechurnen seien nach zwei Jahren durchgerostet und der Inhalt wertvoller Dünger. Das Gedicht über den Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, in dem sich der Adlige in einen Birnbaum verwandelt, erscheint also nicht bloß als Märchen. Oder? „Obstbäume“, so erklärt Thomas Herkert, „werden definitiv nicht zur Aufforstung verwendet.“