Der große Konsens des Meeresschutzes

Beim Expertenhearing zum „Grünbuch Meerespolitik“ der EU in Hamburg wollen alle die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie vor den Küsten. Nur die Umweltverbände bleiben skeptisch, dass die Umsetzung so gut wird wie das Papier

Von Sven-Michael Veit

Die Zielsetzung lautet, bis 2015 die Ostsee „zum saubersten und sichersten Meer der Europäischen Union zu machen“, sagt Dietrich Seele vom Europa-Ministerium Schleswig-Holsteins. Deshalb müsse die EU das Binnenmeer zu einem Modellprojekt machen, um weitere ökologische Schäden zu vermeiden. Niemand widerspricht Seele beim Expertenhearing im Hamburger Rathaus über das „Grünbuch Meerespolitik“ der EU-Kommission, nicht einmal Hans-Heinrich Nöll.

„Schifffahrt und Umweltschutz müssen gleichrangig sein“, bekräftigt der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder (VDR), der hier sogar „Wettbewerbsvorteile“ sieht. Möglichst emissionsfreie Schiffe zu bauen, sei Hochtechnologie, für die Reedereien „wirtschaftlich interessant“ und schaffe Arbeit. Und dafür müsse die EU „klare Standards festlegen, je härter, desto besser“, fordert Stefan Krüger, Leiter des Instituts für Schiffssicherheit an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Im Vergleich zu den ostasiatischen Billigwerften müssten Deutsche und Europäer „so viel besser denken, wie wir teurer sind“.

Es ist der große Konsens der Nachhaltigkeit, der diese Anhörung vor den Parlamentariern der Hamburger Bürgerschaft dominiert. Es ist die dritte ihrer Art in Norddeutschland, seit die EU-Kommission im Juni vorigen Jahres mit ihrem Grünbuch ein grundsätzliches Umdenken in der europäischen Meerespolitik skizzierte (siehe Kasten). Eine „ganzheitliche, integrierte Betrachtung“ von Ökonomie und Ökologie wurde da entworfen, und seitdem wird in allen EU-Küstenländern darüber debattiert, und in den norddeutschen Bundesländern erst recht.

„Wir sind jetzt in der Phase des Zuhörens“, sagt Paul Nemitz, Generaldirektor der EU-Kommission und einer der Hauptautoren des Grünbuchs. Es sei „sehr ernst gemeint“, versichert er, „dass wir Wissen und Kompetenzen sammeln wollen, um strategische Ziele und ihre Erreichbarkeit zu formulieren“ (Interview unten).

Stephan Lutter bleibt es vorbehalten, die Stimmung nicht überborden zu lassen. So „lobenswert“ das Grünbuch auch sei, sagt der Meeresbiologe vom World Wide Fund for Nature (WWF), so spät komme es auch. „Europas Meere sind längst in einer tiefen Krise“, sagt Lutter, und zählt auf: Zwei Drittel der Fischbestände seien vom Aussterben bedroht, 15 Pozent der Küstenzonen „schwer geschädigt“, speziell die Ostsee durch Sauerstoffmangel vom Umkippen bedroht, die ökologischen Risiken durch Öltanker, Ölbohrinseln und sonstigen Schiffsverkehr in Ost- und vor allem Nordsee „enorm“ und die Verluste an Biotopen an den Küsten „nahezu irreparabel“. Die Politik, so Lutters Resümee, „ist weit hinter ihren Zielen und Möglichkeiten geblieben“. Und der WWF wie die anderen Umweltverbände seien skeptisch, dass sich das ändern werde.

Ein wichtiger Indikator für einen anderen Umgang mit dem Meer sei die Fischereipolitik, ergänzt Uwe Jenisch von der Universität Kiel. Denn die habe „auf der ganzen Linie versagt“. Wissenschaftliche Empfehlungen zum Schutz der Bestände und für reduzierte Fangquoten würden von der EU „regelmäßig in die Tonne getreten“, sagt Jenisch: „Hier muss das Umdenken rasch erfolgen.“

Das räumt auch Nemitz ein. Doch realistisch, wie er ist, glaubt er, „dass Nachhaltigkeit am besten mit wirtschaftlichen Argumenten zu begründen und umzusetzen ist“.

Für Dietrich Seele ist das eher ein Ansporn. Die norddeutschen Länder seien „der wesentliche Motor“ für das EU-Grünbuch gewesen und müssten das bleiben. Damit bei der nationalen Abschlusskonferenz in Bremen im Mai der grüne Geist der Nachhaltigkeit nicht ausgetrieben wird.