Tödliche Netzwerke

„Falscher Journalist“ oder unbedarfter Berufsanfänger? Nach Recherchen über die Lage in illegalen Kohleminen ist in der chinesischen Provinz Shanxi ein Zeitungsreporter erschlagen worden

AUS PEKING GEORG BLUME
UND BABAK TAVASSOLIE

Zuerst fand sich die Nachricht als anonymer Eintrag in einem chinesischen Internetforum. Dann erreichte sie über die Südchinesische Metropolenzeitung und das Pekinger Web-Portal sohu.com die westlichen Nachrichtenagenturen. Seither wurde weltweit vom Mord an dem Pekinger Journalisten Lan Chengzhang berichtet, der in der vergangenen Woche bei seinen Recherchen in einer Kohlemine in der nordwestchinesischen Provinz Shanxi erschlagen aufgefunden wurde.

Der bislang ungeklärte Fall zeugt von den Risiken, die chinesischen Journalisten bei der Erprobung eines investigativen Journalismus begegnen. Lan war erst vor zwei Wochen bei seinem Blatt, den Pekinger Handelsnachrichten, angestellt worden und befand sich noch in der Probezeit. So zumindest berichtet es sein Kollege Wang Jianfeng in Peking. Die Pressestelle der zuständigen Bezirkshauptstadt bestreitet dagegen, dass Lan Journalist gewesen sei. Die Polizei gab an, dass man in Lan einen Erpresser sähe, der Material gesucht hätte, um illegalen Minenbetreibern Geld abzuringen.

So abwegig, wie sie klingt, ist die Argumentation der Behörden nicht. In China gibt es heute unzählige illegale private Kohleminen, die für ihre hohen Unfalltotenzahl berüchtigt sind. Die Pekinger Regierung will diese Minen schließen – und hofft auf die Hilfe investigativer Journalisten. Die aber waren in einigen Fällen so erfolgreich, dass die Minenbesitzer sie heute fürchten – und deshalb von „falschen Journalisten“ erpressbar sind. Schon warnt eine Aufklärungskampagne der Behörden in Shanxi vor solchen Übeltätern und empfiehlt den Kohleunternehmern, sich einen Presseausweis vorlegen zu lassen. Journalisten geraten damit zwischen die Fronten von Zentral- und Lokalregierung.

Lan hatte vermutlich keinen Presseausweis bei sich. War das ein Grund, warum eine Gruppe Minenangestellte glaubte, ihn zu Tode prügeln zu dürfen? „Lans Fall zeigt eines der größten praktischen Probleme von Journalisten in China. Denn jeder Journalist, der keinen vom Staatlichen Presseamt erteilten Ausweis vorzeigen kann, wird als ‚falscher Journalist‘ gebrandmarkt. In Wirklichkeit aber haben 30 bis 40 Prozent aller chinesischen Journalisten keinen solchen Ausweis“, erklärt Li Xinde der taz. Li ist einer der bekanntesten freien Internetreporter Chinas. Doch auch er arbeitet nur mit staatlichem Ausweis.

Lan war zudem ein Anfänger in seinem Beruf. Li Datong, der ehemalige Chefredakteur der Pekinger Jugendzeitung, hält seine Entsendung in ein Kohle-Krisengebiet wie Shanxi deshalb für unverantwortlich. Besonders risikoreich seien Themen, bei denen es um die illegale Zusammenarbeit zwischen lokalen Regierungen und Unternehmern gehe, so Li. Die Kohleminen seien dafür ein Paradebeispiel. Die Netzwerke seien hier so stark, dass keine Zeitung es wage, Journalisten hinzuschicken.

Dabei vertrat Lan immerhin eine Pekinger Zeitung. Journalisten der nationalen Presse werden nach Angaben von Li in der Regel nicht verprügelt und nur bedroht. Viel härter treffe es Kollegen aus den Provinzen, die nicht selten ständigen Verfolgungen ausgesetzt seien. So erklärt sich denn auch, warum über den Mord an Lan in den Lokalmedien von Shanxi bisher nicht berichtet wurde.