JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: Aus „Marx!“ wird „Murks!“

Wem die Arbeit der Regierung nicht gefällt, sagt, sie habe „ihre Hausaufgaben nicht gemacht“ – und Schlimmeres

Würde es bloß leichter sein, das mit der Erinnerung. Aber vor einer Woche, angelegentlich eines Neujahrsempfangs bei Grünens – hatte die Fraktion eingeladen?, die Ortsgruppe Schmargendorf?, die Jugendabteilung?, die Familienexperten? –, fiel das Wort wieder. Eine Frau stand mit einem Tofukanapé und Proseccoglas in der Hand in lockerer Runde und sagte: „Murks“. Ein Mann tat es ihr gleich, das Alkoholfreie aus der Flasche in der Linken, die Selbstgedrehte aus schadstoffärmerer Feinschnittproduktion in der Rechten, und hatte diese Vokabel auch in petto: „Murks“. Im weiteren Verlauf fiel dann auch noch, wie man es neuerdings oft lesen kann in grünen Presseerklärungen, die Wendung, diese und jene hätten „ihre Hausaufgaben“ nicht gemacht. Wo hatte ich all das schon gehört? Beim parteiliberalen Get-together zum neuen Jahr? Oder neulich bei Guido Westerwelles Geburtstagsparty? Ja, richtig. Auch der erwähnte dieses „Murks“.

Rätsel satt. Ein leichte Googelei ergibt 481.000 Einträge, aber keine hinreichende Erklärung. Was ist bloß Murks? Und warum benutzen es so verschiedene Politiker wie Bärbel Höhn, Dirk Niebel, Renate Künast (elfmal in den gefühlt letzten zwei Wochen) und Fritz Kuhn, aber auch Cornelia Pieper und Volker Beck? Alles, was sie zum Geschäft der Regierenden zu sagen haben, läuft immer auf das Gleiche hinaus: Das sei „Murks“. Und wenn sie dies sagen, achtet man darauf, klingt das immer etwas handarbeitslehrerinnen- und brotbeutelhaft. Wie der Kommentar der gekränkten Lehrkraft, deren SchülerInnen partout nicht kapieren wollen, dass es gefälligst nach ihrer Schnauze zu gehen hat.

Murks! Sagt es Renate Künast, hört es sich sowieso routiniert an. Muss wohl so sein, die Frau ist ja beschäftigt als Oberchefin der Grünen im Bundestag, da kann sie nicht dauernd wie Pippi Langstrumpf auf Wörtersuche gehen. Vor allem nicht, wenn sie eigentlich sagen will: Ey, Leute, war so schön in der Regierung – und dann mussten wir weg, na dann sagen wir doch lieber, dass alles nach uns Mist ist. Mist wie Murks quasi.

Wobei auffällig doch bleibt, dass eine Kritik, die alles in Bausch und Bogen abtut, stets eine riskante Schlagseite hat: nämlich die Unterstellung, dass es eine Lösung gebe, die alle zufrieden macht. Sagen Künast und die Ihren aber nicht. Wie auch Westerwelle diesen Modus bedient. Immer sind die anderen richtig scheiße und wären es weniger, dürfte man mit an den Trögen sitzen, die satt machen und weniger durstig. Da ist die Linkspartei anders, ganz anders. Die weiß noch was von Interessen, von unversöhnlichen, die hat gelernt, dass Kompromissen alle sauer werden lässt – und dass manches missfallen könnte, aber nicht alles gleich „Murks“ ist. Google hilft auch hier: „Murks“ und „Linkspartei“ gehen zusammen nur 12.000-mal – das ist gemessen an der „Murks“-Gesamtsumme nicht einmal die Fünfprozentquote.

„Murks“ aber zusammen mit den „Hausaufgaben“, die nicht gemacht worden seien, ergibt schon einen Sound. Den der beleidigten Vollkornwürste – und von Strebern, die immer alles besser wissen und doch nicht ins SchulsprecherInnengremium gewählt wurden. Die wollte man mit Sitzen belohnen, aber nicht mit gewichtiger Stimme: Das roch immer nach Verdruss und Entbehrung – und mit so was will man so nix zu tun haben.

Auf der grünen Party jedenfalls, neulich, als schon wieder ein Jahr ohne Regierungsbeteiligung anbrach, da keckerte die Gemeinde so wissend vor sich hin wie einst linksradikale Intellektuelle, deren Lebensaufgabe in der Kritik der Marx’schen Mehrwertteorie begründet schien – und die seither allen Karawanen, die an ihnen entlangziehen, kläffend zurufen: „Wenn ihr mich schon nicht hören wollt, so werde ich bös!“

Kein Murks war sie, diese Kritik an Marx und anderen, ganz bestimmt nicht. Hochplausibel, gewiss. „Murks“ ist, vielleicht, einfach nur ein bellender Ausruf in schierer Hoffnungslosigkeit – ein leidenschaftsarmes Ausrufezeichen der Selbstbehauptung – da sind sich die beiden liberalen Parteien im Bundestag doch seltsam einig.

Hausaufgaben gemacht? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH