Das Dallas der Heide

INDUSTRIEGESCHICHTE Die Arte-Dokumentation „Pioniere des Erdöls“ erzählt vom Ölfieber im niedersächsischen Wietze. Das begann 1859 noch vor der ersten Ölbohrung in Texas

VON WILFRIED HIPPEN

Am Freitag werden sich einige Einwohner des Dorfes Wietze im Fernsehen sehen: Um 17.30 Uhr zeigt Arte die Dokumentation „Pioniere des Erdöls“, die vom Ölfieber in Wietze Mitte des 19. Jahrhunderts erzählt. Manche Wietzer haben bei den nachgestellten historischen Szenen mitgespielt oder bei den Dreharbeiten geholfen. Die Einheimischen haben allen Grund, auf diesen Film stolz zu sein: In ihm wird belegt, dass in Wietze bei Celle im Jahr 1859 die erste erfolgreiche Ölbohrung stattfand – und nicht, wie allgemein angenommen, in Texas.

Die Geschichte geht so: Auf dem Grundstück der reichen Bauernfamilie Wallmann war damals ein Teerloch. Mit dem „Satans-Pech“ wurden schon lange vor dem Ölfund gute Geschäfte gemacht. Es wurde für Fackeln verwendet, Kutschenräder mit ihm geschmiert und es wurde sogar als Medizin verwendet. Drei Löffel täglich sollten für gute Nerven sorgen sowie gegen Heiserkeit und Hundebiss helfen.

Eine Zeit lang wurde viel Teer nach Hamburg verkauft, wo er als Belag für die Bürgersteige verwendet wurde. Doch als das große Feuer von 1842 auch deshalb so verheerend wüten konnte, weil die Gehwege zu brennen begannen, war Schluss mit diesem guten Geschäft.

Ein findiger Geograf glaubte damals, wo Teer ist, wäre vielleicht auch Kohle zu finden. 1858 begann er danach zu bohren und war dann enttäuscht, als er im Juni 1859 auf Öl stieß, mit dem damals in Deutschland noch niemand etwas anfangen konnte.

Drei Monate später wurden dann die ersten Ölquellen in Texas entdeckt und weil es sofort danach zum ersten Ölfieber kam, wurde nichts aus dem verdienten Ruhm für Wietze. Erst ein paar Jahre später begann der Bauer Wallmann weiter nach Öl zu bohren und fand ein ergiebiges Feld, durch das ein Ölfieber in dem kleinen Örtchen ausgelöst wurde.

„Er war der erste Ölscheich“, sagt ein Nachfahre über seinen Ur-Ur-Großvater Wallmann in der Dokumentation von Tom Fischer, der diese erstaunliche Episode deutscher Industriegeschichte gründlich recherchiert hat und sehr konventionell, aber unterhaltsam erzählt.

Dafür, dass in dem Film vom Aufstieg und Fall Wietzes vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts berichtet wird, treten erstaunlich viele Zeitzeugen auf, von denen die meisten Nachfahren von Wietzer Ölmagnaten sind. Dass sich bei ihren Aussagen Wahrheit und Legende oft vermischen, vermutet man etwa bei der Geschichte von den Hundertmarkscheinen, mit denen einer der Wallmanns sich seine Zigarren angesteckt haben soll.

Die Dynastie Wallmann wird auch sonst wie die norddeutsche Antwort auf die Ewings aus der TV-Serie „Dallas“ präsentiert. In Spielszenen, die gemäß den Konventionen in Sepia-Farbtönen gehalten sind, werden gleich drei der Patriarchen der Familie von Schauspielern verkörpert.

Dabei ist zumindest bei dem letzten Protagonisten William Wallmann höchst umstritten, ob er wirklich eine entscheidende Rolle beim Ölgeschäft in Wietze gespielt hat. Um diese Frage geht es in einem Strang des Films, der von dem Ahnenforscher Michael Rost erzählt: Rost ist ein Nachfahre der Wallmanns, der ein Buch über seine Vorfahren schreiben will.

Regisseur Tom Fischer hat sich leider entschieden, bei der Rost-Episode einem bei Dokumentationen populären Erzählmuster zu folgen, nämlich dem der Schatzsuche. So sieht man Michael Rost dabei zu, wie er angeblich auf einem Dachboden und im Archiv des Erdölmuseums Rechnungen, Verträge und Fotos von seinen Vorfahren findet. Und weil er glaubt, eines dieser Fotos könnte belegen, dass William Wallmann tatkräftig an einer Bohrstelle zu sehen ist, lässt er mit einem Metalldetektor die Wiese vor dem Erdölmuseum untersuchen. Was dadurch bewiesen werden soll, bleibt unergründlich. Wenn dann noch ernsthaft erörtert wird, dass ein gefundenes Stück Eisenkette tatsächlich so ähnlich aussehe wie eine Kette auf dem Foto vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wird der Film unfreiwillig komisch.

Überall Bohrtürme

Ein Ölboom fand in Wietze aber tatsächlich statt. 1910 gab es dort 2.000 Bohrungen, 80 Prozent des in Deutschland geförderten Öls kam von dort und auf Fotografien sieht man Landschaften voller Bohrtürme, wie man sie aus Texas oder Arabien kennt, aber nie in der Lüneburger Heide erwarten würde. Der Film ist dann am stärksten, wenn er solche Originaldokumente wirken lässt.

Arbeitskräfte aus ganz Europa strömten damals nach Wietze und verschreckten die Dorfbewohner mit rüden Umgangsweisen. So erzählt einer der Nachfahren heute noch mit Empörung in der Stimme, dass mit „Pistolen geschossen und mit Messern gestochen“ worden sei, und dass „die Galizier und die Elsässer“ sich am schlimmsten aufgeführt hätten.

Wie jede Boomtown hat auch Wietze nach einigen glorreichen Jahrzehnten, in denen die Bauern mit ihren Grundstücken riesige Vermögen anhäuften, einen dramatischen Niedergang erlebt. Es kam immer weniger Öl aus der Erde und 1963 wurde die Förderung endgültig eingestellt. Die meisten Reichen des Ortes verloren ihr Geld bei der Inflation in den 1920er-Jahren und heute ist als einziges Relikt aus diesen Tagen noch das Deutsche Erdölmuseum in Wietze angesiedelt.

„Pioniere des Erdöls“: 11. und 15. 7., 17.30 Uhr; 29. 7., 10.15 Uhr, Arte