DANIEL SCHULZ DER WOCHENENDKRIMI
: Hartes Großmaul

Halt! Nicht abschalten. Ja, die ersten Minuten von „Stille Wasser“ sehen aus wie eines dieser Horrorvideos der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Saufende junge Menschen, alle haben eine eigene Pulle in der Hand und stopfen sie sich in den Rachen, als hinge das Leben davon ab. Klar, das kann nur schlimm ausgehen und am Ende ist ein Mädchen tot.

Ein „Tatort“ lebt in seinen besseren Ausführungen von der Illusion vom echten Leben, der Nähe zum Volk, etwas, das Serien wie „CSI“ nicht brauchen. Diesbezüglich ist der Anfang Schrott, es wird aber besser. Ein Paar wird in einem Bremer Wohnblock erstochen, die Tochter hat versteckt alles beobachtet und spricht seither nicht mehr. Um das Vertrauen der Neunjährigen zu gewinnen und um sie als Köder für den Mörder zu benutzen, zieht Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) bei ihr ein und gibt sich als Tante aus. Postels Ausbruch aus ihrer betulichen Rolle in ein Leben als hartes, rauchendes Großmaul gelingt stellenweise großartig. Es sind die Frauen, die diesen Film tragen – den Männern gesteht das Drehbuch eher holzschnittartiges Verhalten zu.

Weil im Block auch die ArbeitskollegInnen der Opfer wohnen – die Männer arbeiten im Hafen, die Frauen im Supermarkt –, zeigt der Film in seinen besten Momenten glaubwürdige Ausschnitte proletarischen Lebens: die Leute dürfen ihre Kinder lieben, laut streiten und zärtlich sein und vor allem so miteinander sprechen, dass man nicht meint, sie müssten einem Vorurteil vom Leben im Neubau-Ghetto entsprechen.

Was der Tod des Mädchens mit dem des Ehepaars zu tun hat, klären die ErmittlerInnen natürlich auf, aber nicht ohne – und das ist die weitere große Stärke des Films – sich vorher mehrfach nachvollziehbar zu irren und das Publikum dabei mitzunehmen. Mission Echtheit also erfüllt, auch wenn am Ende wieder eine Klischeeszene steht – diesmal mit tanzenden Kindern.

Bremen-„Tatort“: „Stille Wasser“; Sonntag, 20.15 Uhr, ARD