„Man braucht eine starke Behindertenbewegung“

TEILHABE Christian Specht vom Behindertenbeirat Friedrichshain-Kreuzberg über die Pride Parade

■ 46, ist in allen linken Parteien Berlins aktiv. Er kann nicht lesen, ist Mitglied im Behindertenparlament von Friedrichshain-Kreuzberg und hat ein Büro in der taz.

taz: Herr Specht, am Samstag findet die Pride Parade statt. Sie nehmen doch sicher teil?

Christian Specht: Ja, ich gehe hin. Ich war auch im letzten Jahr schon da. Ich finde es besonders gut, dass man nicht nur zum Kanzleramt oder zum Brandenburger Tor geht, wo nur Touristen sind. Wenn man was erreichen will, muss man durch die Bezirke gehen, damit die Leute mitkriegen, dass es so was gibt. Aber auch die Themen finde ich gut.

Worum geht es Ihnen bei der Demonstration?

Für mich geht es um Mitbestimmung von Behinderten. Und ich möchte gerne, dass sich in den Behindertenwerkstätten etwas verändert, dass es einen Mindestlohn gibt. Da muss es eine Auseinandersetzung geben. Aber da redet keiner drüber. Es gibt in den Werkstätten Leute, die sich nicht trauen, sich für den Mindestlohn einzusetzen. Viele haben Angst, dass sie dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren. Und auch auf Barrierefreiheit muss sehr dringend geachtet werden.

In den vergangenen Jahren hat sich einiges verändert. In Deutschland seit 2009 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen: Deutschland hat sich verpflichtet, für Gleichberechtigung und Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben von Menschen mit Behinderungen zu sorgen.

Ja, aber wenn zum Beispiel die Senatsverwaltung sagt, sie will Inklusion an Schulen, und dann wird das nicht umgesetzt, dann finde ich das ein Ding. Viele Lehrer haben auch Angst vor Inklusion und wollen darüber nicht reden.

Was muss passieren, damit sich etwas verändert?

■ Auf der Pride Parade am Samstag wird gehumpelt und gerollt, verstört und verführt: Unter dem Motto „Behindert und verrückt feiern“ laden die VeranstalterInnen zur Demo. Menschen mit Behinderungen und mit Psychiatrieerfahrung sollen selbstbewusst auf die Straße tragen, wofür sie im Alltag diskriminiert, schief angeschaut oder weggeschlossen werden. Vergangenes Jahr waren etwa 1.000 Menschen dabei.

■ Die Parade startet am Samstag um 15 Uhr am Hermannplatz. Barrierefrei will auch die Veranstaltung sein, deshalb gibt es auf der Website auch Informationen über rolligerechte Klos auf der Route und eine Gebärdenübersetzung der Redebeiträge, die in leichter Sprache verfasst sein sollen. (hru)

www.pride-parade.de

Man braucht eine starke Behindertenbewegung, die mehr in die Gesellschaft reingeht, damit die sich auch mehr mit Inklusion auseinandersetzt. Vielleicht könnte man aus der Pride Parade so eine neue starke Bewegung aufbauen. Ich hoffe sehr, dass am Samstag wieder so viele Leute kommen wie im letzten Jahr.

INTERVIEW: HILKE RUSCH