Alter im Bewegungsdrang

Die Lebensmitte ist kein Ort zum Verweilen: Philippe Olza inszeniert sein Tanzstück „Voilà!“ im FFT Düsseldorf – und erläutert darin die Gemeinsamkeiten von Staubsaugern und Altersstillstand

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Der in die Jahre gekommene Ex-Fußballer Pierre Littbarski erklärte das Scheitern seiner Mannschaft einmal mit der fehlenden Beständigkeit in der zweiten Halbzeit. Glücklicherweise verliert der Fußballern eigene Hang zum Apodiktischen im Theatersaal seine Gültigkeit, ansonsten wäre „Voilà! – Halbzeit für Mensch und Körper“, das jetzt im FFT Düsseldorf Premiere hatte, wohl zu einer allzu eindeutigen Veranstaltung verkommen.

Denn die Positionen sind zu Beginn des Stücks eher traditionell besetzt. Vertreter der zwei Kulturen sitzen gut bestuhlt auf dem roten Teppich im Düsseldorfer Forum Freies Theater. Medizinprofessor Fritz Boege forscht über den Verfall von Zellen, Countertenor David Cordier singt Lieder vom 17. Jahrhundert bis heute. Beide zählen 47 Lenze und sind damit Teil der Zielgruppe. Nicht nur die Lebenshilfe-Literatur hat die Lebensmitte als Topos entdeckt, für den Arbeitsmarkt scheinen Menschen in der zweiten Lebenshälfte ebenso entbehrlich, wie für das Ehrenamt unverzichtbar.

Da passt es nur zum Rahmen, wenn die Diskutanten ihren Rollen gerecht werden. „Wir verfallen eigentlich beständig ab dem 22. Lebensjahr“, entzaubert Molekularspezialist Boege Vorstellungen über die goldene Lebensmitte, und Tenor Cordier kontert: „Aber wir gewinnen an Ausdrucksmöglichkeiten und Weisheit.“ Soweit also ein sicheres Stellungsspiel, das nur unterbrochen wird, wenn der Mediziner das Wort „Designer“ benutzt, um seine Vorstellung von einem großen Ganzen kundzutun.

Glücklicherweise dauert die Performance 75 Minuten und in der zweiten Halbzeit kommt dann Philipp Olza zum Zug. Mit 47 Jahren den Zenit des Tänzers schon weit hinter sich, sorgt sein Auftritt für das notwendige Unbehagen im Kanon der Altersmeinungen. Gekleidet in Frack und Lackschuh schlüpft er unter den roten Teppich, um nach ein paar Minuten als junger Mann in Karohemd und Shorts die Bühne vom Muff der tausend Phrasen zu befreien.

„Körper besitzen Höhe, Breite und Tiefe. Sie sind Räume“, teilt der Tänzer während einer kurzen Atempause mit und ist sofort wieder aufgesprungen, um die Räume der Bühne zu füllen. Mit schnellen Schritten vermisst er die Lebenszeit seines eigenen Körpers, beginnt mit seinem Kindheitstraum Soldat und schwärmt von der Männlichkeit Ronald Reagans.

Auf der Hälfte des Lebens hält er kurz inne, sinniert narzisstisch über eine Performance mit Diskussion und setzt seinen Weg ins Alter, gehetzt durch die Verpflichtungen von Familie und Beruf, fort.

Pausen entstehen nur dann, wenn Olza in den Dialog mit Staubsauger und Teppich tritt, den beiden einzigen Requisiten auf der Bühne. Doch während der Teppich zum sprichwörtlichen Kehren dient, ist der Staubsauger Objekt des Veränderungswillens, spendiert Nähe ebenso wie frisch gebrühten Kaffee und liefert mit seinem Betriebsbrummen das Ausgangsmaterial für den Soundtrack von Hans Koch, der die Haushaltsgeräusche einer konstanten Metamorphose unterwirft.

Auch nach der Lebensmitte tritt man nicht als abgeschlossener Mensch, sondern als werdendes Subjekt auf die Bühne des Lebens, soviel ist nach Ende der Veranstaltung klar. Doch wie Potenziale auch noch im Alter realisiert werden können, darauf gibt „Voilà!“ keine Antwort. Ob man eine Etage unter dem FFT schlauer ist? Dort befindet sich das Amt für Grundsicherung.

„Voilà! – Halbzeit für Mensch und Körper“, täglich bis 21. Januar, jeweils 20 Uhr, im Forum Freies Theater/JUTA, Düsseldorf. Infos: www.forum-freies-theater.de