Philipp Mausshardt über KLATSCH
: Cohns Liste

Jedes Jahr erhalte ich ein Weihnachtsgeschenk von Arthur Cohn. Und was ist mein Dank? Ein schlechtes Gewissen

Ja, wer hätte sich denn nicht darüber gefreut? Ein Paket aus der Schweiz mit einer Wanduhr darinnen, die vielleicht nicht schön, aber doch etwas ganz Besonderes war: Zu jeder vollen Stunde öffnen sich an den Seiten der Uhr zwei kleine Türchen und Musikanten kommen heraus, die ein munteres Lied spielen. Zu jeder Stunde ein anderes. Die Uhr hängt über der Küchentür und ist vor allem bei Kindern und mir der absolute Hit.

Sie hat zum Zweiten den Vorteil, dass sie mich täglich zum Frühsport zwingt. Weil meine Frau sie jeden Abend ausstellt mit der fadenscheinigen Begründung, das Gedudel höre man nachts noch bis ins Schlafzimmer, muss ich jeden Morgen einen Küchenstuhl nehmen, hinaufklettern und sie wieder anstellen. Doch diese Uhr ist noch viel mehr: zeigt nicht nur die Zeit; macht nicht nur Musik; zwingt nicht nur zum Frühsport. Sie ist auch mein schlechtes Gewissen.

Ich bekam sie vor einigen Jahren von Arthur Cohn geschenkt, einem Filmproduzenten aus Basel, der in Hollywood allerdings wesentlich berühmter ist als in Basel oder in Berlin. Cohn macht Menschen, die er mag, kleine Geschenke zu Weihnachten und schickt ihnen dazu einen lieben Gruß. In diesem Jahr war wieder eine Uhr im Päckchen, eine die die Zeit in den Metropolen der Welt anzeigt. Im Moment, wo diese Zeilen entstehen, ist es beispielsweise in Rio de Janeiro gerade 6.45 Uhr.

Jedes Jahr nehme ich mir vor: Du solltest dich, nein du willst dich bei Herrn Cohn und all den anderen noch für die Grüße zum neuen Jahr bedanken. Doch dann läuft das Jahr an, die Zeit rennt davon, ich hetze hinterher und alle Vorsätze werden mitgerissen. Plötzlich ist es Ostern – und die Weihnachtsgrußkarten liegen noch immer unbeantwortet auf meinem Schreibtisch. Es wäre peinlich, sich jetzt noch dafür zu bedanken. Und so lasse ich es sein.

Die Absender haben es dann vielleicht schon vergessen oder aber sind noch ein wenig über meine Unhöflichkeit pikiert. Dieses Gefühl ist aber in seiner Intensität nicht zu vergleichen mit dem schlechten Gewissen, das mich ab Ostern plagt. Jede Stunde, wenn die Musikanten aus der Küchenuhr treten, singen sie mir das Lied: Du bist undankbar, du bist ein unhöflicher Mensch, du bist kein guter Freund.

Wahrscheinlich denke ich dadurch das ganze Jahr über sehr viel mehr an diejenigen, die mir zu Weihnachten geschrieben haben, als diejenigen an mich denken. Nur wissen sie das nicht. Ob sie es spüren? Ich weiß es nicht, hoffe es aber.

Wie es ja auch einen großen Unterschied zwischen der echten und der gefühlten Temperatur gibt, so gibt es vielleicht auch echte und gespürte Weihnachtsgrüße. Ich schreibe nur gespürte Weihnachtskarten.

Freundschaften „pflegt“ man, sagt man. Man gießt und düngt sie wie einen Ficus benjamina, damit er gedeiht und wächst. Eine schnell eingetippte Rundmail oder eine Rund-SMS („ein gutes Neues Jahr alle zusammen!“) gilt dabei nicht als wirkliche Zuwendung. Wenn ich einmal Zeit hätte, wäre ich gerne altmodisch. Ich würde einen Füller nehmen und würde auf schönen Postkarten allen schreiben, die ich mag. Die Postkarten habe ich mir für diesen Sankt-Nimmerleins-Tag schon gekauft, den Füller wünsche ich mir zum nächsten Weihnachten.

Übrigens gilt Arthur Cohn als der weltweit großherzigste Mensch. Er ist der Weltmeister der Aufmerksamkeit und der Höflichkeit und der Gnade. Er streicht keinen von seiner Liste, nicht einmal mich. Gut, der Mann hat eine Sekretärin, die ihm diesbezüglich vieles abnimmt. Aber das entschuldigt schließlich nicht das eigene Versagen.

Gestern schrieb Arthur Cohn in der Bild-Zeitung, wie er sich dafür schäme, dass Regisseur Martin Scorsese noch nie einen Oscar gewann (Cohn bekam dagegen schon sechs). Er schämt sich sogar für andere. Ich schäme mich nur für mich.

Fragen zu Cohn? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried CHARTS