Tief im Osten

BEGEGNUNG Die U19-Fußballnationalmannschaft aus Myanmar hat Quartier im brandenburgischen Beelitz bezogen. Das südostasiatische Team bereitet sich auf die Nachwuchs-WM 2015 vor – die Gegner: Berliner Regionalligisten

VON GUNNAR LEUE

Schöneweide soll ja auf dem Weg zum neuen Berliner In-Kiez sein. Bald will Bryan Adams seine Kunsthalle am Spreeufer mit Industrialcharme eröffnen, der Ex-Mitte-Club Kiki Blofeld ist schon da. Am Ufer schräg gegenüber ist das Szenige noch fern. Discounter, Autohaus, Sportanlagen. Dazwischen das Käthe-Tucholla-Stadion, Heimstätte des KSV Johannisthal. Am Eingang thront ein Vereinsheim, nicht auf altmodisch gemacht, sondern echt von gestern. Auf der kleinen Balustrade ein Holzstehtisch, drumherum stehen biertrinkende Männer. Gesprächsthema: die Fußball-WM, die Viertelfinals stehen an. Dann hält an der Straße ein Reisebus – und wahrhaftige Nationalspieler steigen aus. Die U19-Mannschaft von Myanmar, die sich hier drei Wochen lang gegen Berliner und Brandenburger Regionalligaklubs für die Auswahlspiele zur U20-WM 2015 in Neuseeland fitkicken soll. An diesem Tag steht ein Spiel gegen den FC Viktoria 89 aus Lichterfelde an.

Die jungen Burschen gucken etwas schüchtern. Umso heimischer scheint sich der Mann zu fühlen, der ihnen vorangeht: reifes Alter, sportlich, braungebrannt, Trainingshose, gelbes Shirt mit Myanmar-Wappen – und ein deutlicher Ruhrpott-Dialekt. „Hallo Elmar, da sind wir. Allet klar?“

Rosige Fußballzukunft

Elmar Werner ist der Präsident des KSV Johannisthal und hat die Nachwuchsauswahl von Myanmar mit ihrem Coach Gerd Zeise nach Schöneweide gebracht. Er und Zeise kennen sich schon seit 20 Jahren. Damals war der aus Essen stammende Zeise noch Manager beim saarländischen FC Homburg und irgendwie mit dem umtriebigen Werner in Kontakt gekommen. Die Verbindung ist nie abgerissen, zumal der diplomierte Sozialpädagoge Zeise 2009 und 2010 in Treptow als Sozialarbeiter bei einem Bildungsträger arbeitete: Seine Aufgabe war es, Hartz-IV-Empfängern den Weg zurück in einen Job zu ebnen.

„Ich hatte da so ein Sportkonzept, um die Leute zu motivieren“, sagt Zeise. „Wir boten den Vereinen an, ein paar Reparaturarbeiten an ihren Anlagen zu machen. Dafür durften wir die umsonst mitnutzen. Das funktionierte ganz gut. Aber dat allet für 1.100 Dinger im Monat, das konnte es für mich auf Dauer auch nicht sein.“

Als ihm ein Kumpel einen Tipp gab, dass in Myanmar ein Fußballtrainer für die Nachwuchsteams gesucht wird, hat Zeise sich beworben. Schließlich ist der 61-Jährige auch ausgebildeter Trainer, 2001 hatte er mal einen belgischen Erstligisten trainiert. Als er eine fünfjährige Pause einlegte, um das Heranwachsen seiner Tochter mitzuerleben, war er allerdings schnell raus aus dem Geschäft.

„Nach so langer Zeit ohne Verein hast du hier als Trainer ganz schlechte Karten“, sagt er. Doch in Fernost gab es Arbeit für ihn: Also ging Zeise zunächst als Trainer nach Vietnam, anschließend auf die Malediven, dann 2011 ins südostasiatische Myanmar, besser bekannt als Birma. „Ich habe meine Papiere hingeschickt, und ein paar Tage später war ich engagiert.“ Seitdem ist er zuständig für die vier Nachwuchsauswahlteams des Landes.

Myanmar, in der Fifa-Weltrangliste auf Platz 159, ist fußballverrückt. „Keine andere Sportart reicht da ran“, sagt Gerd Zeise. Deshalb sei es auch normal gewesen, dass die Militärs, die das Land bis 2011 diktatorisch regierten, ständig in die Angelegenheiten der Nationalelf hineinredeten. Im Klubbereich existierte vor 2009 noch nicht mal eine nationale Liga. Inzwischen brachte die vorsichtige Demokratisierung des einst abgeschotteten Landes auch mehr Leben in den Spitzenfußball. Mittlerweile gibt es in der jungen Republik sogar eine zweite Liga und Fußballakademien, mit denen der nationale Verband den Nachwuchs fördert.

Ob die religiösen und teils gewalttätig ausgetragenen Konflikte zwischen der buddhistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit im Land ihn in seiner Arbeit behinderten? Nein, sagt Gerd Zeise. In seinem U19-Team seien alle Spieler Buddhisten, aber Religion sei auch ohnehin kein Thema für ihn bei seiner Arbeit.

Zeises Job ist es schlicht, die junge Republik Myanmar in eine schönere Fußballzukunft zu führen. „Unsere Jungs sind die Zukunft von Myanmar. Die Chance war noch nie so groß wie jetzt, dass sie einmal in ihrem Leben eine WM spielen können.“

Um dieses Ziel – die U20-WM in Neuseeland – zu erreichen, muss Zeise mit seiner Mannschaft im Oktober bei einem Turnier zwischen den besten 16 asiatischen Teams in Rangun, der größten Stadt Myanmars, unter die ersten vier kommen. „Im südostasiatischen Bereich können wir jede Mannschaft schlagen, aber die arabischen Teams sind uns alle körperlich überlegen“, sagt Zeise. „Deshalb wollte ich hierher zum Trainingslager, um gegen körperlich starke Teams zu testen.“ Die „starken Teams“ – damit meint Zeise Regionalligaklubs wie den Berliner AK, den SSV Babelberg und BFC Dynamo oder den Oberligisten Hertha Zehlendorf.

Ihr Quartier bezogen die Myanmarer in Beelitz. Das Besitzerpaar des Hotels hat einen myanmarischen Ziehsohn. Trainiert wird auf einem Sportgelände der Bundeswehr. „Topbedingungen“, schwärmt Gerd Zeise. Und auch der erste Testspielgegner in Schöneweide, die Männermannschaft von Viktoria 89, ist für Zeise perfekt: Berliner Regionalligist, alle Spieler einen Kopf größer als die Myanmarer. „Genau dat Richtige“, sagt Zeise im typischen Ruhrpottsprech, das der Berliner Schnauze so ähnlich ist. „Selbst wenn wir hier einen auf die Mütze kriegen.“

Danach sieht es zunächst sogar aus, so heftig werden seine schmächtigen Jungs zu Beginn überrannt. 1:0, 2:0, 3:0, Gerd Zeises Anweisungen fliegen immer lauter über den Platz: „Come on! Go! Go! Go!“

In der Halbzeit tüftelt Zeise an der Taktik, schiebt rote und blaue Klötzchen über eine kleine Tafel. Am Ende kommen seine Kicker noch auf ein 2:3 an die Lichterfelder heran, obwohl ihr bester Mann, Shine Tya mit der Nummer 10 auf dem Trikot, nicht gerade in Höchstform spielt. Mit seiner modernen Frisur sieht er dem brasilianischen Superstar Neymar sehr ähnlich – weshalb ihn seine Mitspieler auch so rufen. Leider hat er es laut Coach Zeise nicht so mit dem Trainingseifer. „Er dürfte bald der beste Stürmer in ganz Myanmar sein, aber ich musste ihn auch ein halbes Jahr antreiben, damit er seine laxe Einstellung ändert“, sagt Gerd Zeise.

Die Nachwuchsspieler sind durchaus privilegiert im Vergleich zu ihren Mitbürgern. Sie leben in Fußballinternaten und verdienen bei ihren Vereinen rund 300 Dollar plus 100 Dollar vom Verband – laut Zeise „das Fünffache eines durchschnittlichen Arbeitermonatslohn“. Die meisten Spieler würden mit dem Geld auch ihre Familien unterstützen.

„Am liebsten zu ManU“

So wie Shine Tya, der mit Neymar nicht nur ein Frisurenvorbild hat, sondern auch ein sportliches Idol. Und davon träumt, wie fast alle seine Mannschaftskollegen, irgendwann im Ausland zu spielen, „am liebsten bei Manchester United“. Sollte es dazu kommen, haben ein paar Schüler des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums in Köpenick später mal was zu erzählen. Bei ihrem Schulfest ist die Myanmar-Auswahl nämlich auch zu einem kleinen Match gegen die Schulauswahl angetreten. Ob das die Myanmarer, die noch gut eine Woche lang in Beelitz zu Gast sind, auf ihrem Weg zur U20-WM spielerisch weitergebracht hat, darf man bezweifeln. Aber die Freundschaftsspiele der DFB-Elf auf dem Weg nach Brasilien waren ja auch nicht alle sportlich wertvoll.