Viele Vögel sind schon weg

Kampf gegen Vogelmord für Kopfputz und Gaumenkitzel: Mit dem NABU wird der mitgliederstärkste Umweltverband der Stadt 100 Jahre alt. Dem heutigen CDU-Senat wirft er vor, den Naturschutz zu vernachlässigen

Vogelschutz war vor 100 Jahren eine denkbar konkrete Angelegenheit. Wie ein nie zu sättigender Moloch verschlinge der Mensch „Millionen der nützlichsten Geschöpfe eines flüchtigen Gaumenkitzels wegen“, heißt es im Gründungsaufruf des Bundes für Vogelschutz, der heute Naturschutzbund (NABU) heißt. Die Hutmode verlange „jährlich 100 Millionen Vogelleichen“, und mit der Beseitigung von Hecken und Sträuchern werde den Tieren auch noch der Lebensraum genommen.

1907 wird erstmals eine Hamburger Ortsgruppe des 1899 gegründeten Bundes für Vogelschutz erwähnt. Aus dem damals 60-köpfigen Grüppchen ist der mitgliederstärkste Umweltverband der Stadt geworden: 17.200 Menschen stehen in seiner Kartei. 400 bis 500 davon seien ehrenamtlich aktiv, 15 hauptamtlich, sagt der Landesvorsitzende Rolf Bonkwald.

In dem Verein fanden sich Menschen zusammen, bei denen Freude an der Beobachtung der Vögel und der Wunsch, sie zu schützen Hand in Hand gingen – ebenso wie das Bedürfnis, die eigene Begeisterung mitzuteilen. Damals wie heute veranstaltet der NABU vogelkundliche Führungen. 1936 legte er – damals „Gruppe Niederelbe im Reichsbund für Vogelschutz“ – am Berner Heerweg in Farmsen sein erstes Vogelschutzgehölz an. Heute betreut er 60 Naturflächen, darunter 21 der 29 offiziellen Naturschutzgebiete.

Betätigte sich der NABU in den 50er und 60er Jahren vor allem als ornithologischer Wander- und Reiseverein, begann er sich in den 70er Jahren mit dem Entstehen der Umweltbewegung zu politisieren. 1939 hatte sich die „Gruppe Niederelbe“ wohl zum ersten Mal in einer Umweltangelegenheit an die Presse gewandt: Sie berichtete über eine Ölpest. Erst Mitte der 70er Jahre dann setzte sich aber der Wunsch durch, „Naturschutz für alle Tiere und Pflanzen sowie deren Lebensräume zu machen“, wie es in einer Selbstdarstellung heißt.

Die 100-Jahres-Bilanz ist durchwachsen. Zwar sei es gelungen, Arten wie den Storch, den Kranich, den Moor- und den Laubfrosch vor dem Aussterben zu bewahren, sagt Bonkwald. Trotzdem seien heute 55 Prozent der Farn- und Blütenpflanzen gefährdet, 39 der Säugetiere und 83 Prozent der Schmetterlinge. In jüngerer Zeit gelang es dem NABU, zum Teil gemeinsam mit anderen Verbänden, den Wachtelkönig im Moorgürtel zu retten und dem ehemaligen Truppenübungsplatz Höltigbaum eine Bebauung zu ersparen. Dass das Süßwasserwatt im Mühlenberger Loch zum Teil zugeschüttet wurde, konnte nicht verhindert werden.

Dem heutigen CDU-Senat wirft Bonkwald vor, er habe kein Konzept und betreibe eine rückwärtsgewandte Politik: „Wir haben es im staatlichen Naturschutz mit einem Rollback in die 1960er Jahre zu tun“, sagt er. Aus Sicht seines Verbandes kommt es in nächster Zukunft vor allem darauf an, existierende Lebensräume zu vernetzen, um den Tier- und Pflanzenarten bessere Überlebenschancen zu verschaffen. Gernot Knödler