Schläge ohne Regeln

Nikolai Walujew verteidigt in Basel heute seinen Titel als Schwergewichtsweltmeister gegen Jameel McCline– in Russland muss sich der „sanfte Riese“ wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

St. Petersburg, Mitte der Neunzigerjahre. Die Stadt im Norden Russlands gilt als Hauptstadt des Verbrechens. Nikolai Walow aus Sibirien kommt auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten in die Stadt an der Newa. Er besucht seinen alten Freund. Nikolai erfährt, dass ein gemeinsamer Freund und Geschäftspartner von der Mafia umgebracht worden ist. Die Freunde beschließen, den Banditen das Handwerk zu legen. Das ist der Plot eines Filmes, der demnächst in den russischen Kinos zu sehen sein wird. Titel: „Schlacht ohne Regeln“.

Die Rolle des Nikolai Walow, eines „kräftigen Buschen“, wie es in der Ankündigung heißt, hat einer der prominentesten Sportler Russlands übernommen: Nikolai Walujew, 33, Weltmeister nach Version der World Boxing Association (WBA) im Schwergewicht. Der 2,13-Meter-Hüne, der heute in Basel (22.30 Uhr, ARD) seinen Titel gegen den US-Amerikaner Jameel McCline verteidigt, wird als Kämpfer wider das Böse inszeniert. Walujew, der Gute?

Der Boxer, der von seinem Team „Sauerland Promotion“ in Deutschland als „sanfter Riese“ präsentiert wird, muss sich in Russland vor Gericht verantworten, weil er im Januar 2006 in St. Petersburg einen 60-jährigen Sporthallenordner verprügelt haben soll. Der Boxer selbst und auch seine Betreuer wollten sich vor dem Kampf in Basel nicht zu den Vorfällen äußern.

Das seien nicht mehr als Gerüchte, meint ein Betreuer, der nicht namentlich genannt werden will. Er bezeichnet den Ordner als „Wichtigtuer“. Der hat vor einem Jahr bei der Polizei zu Protokoll gegeben, er sei von Walujew in einer Art Heizungskeller aufgesucht und regelrecht vermöbelt worden. Vorausgegangen sei eine Auseinandersetzung mit Walujews Frau Galina, die er in seiner Eigenschaft als Parkwächter aufgefordert habe, ihren Jeep umzuparken. Frau Walujewa habe sich geweigert, der Aufforderung Folge zu leisten, und ihren Mann angerufen. Kurz darauf sei der Boxer in der Halle aufgetaucht und habe kräftig ausgeteilt. In einem Petersburger Krankenhaus wurde bei dem Ordner eine Gehirnerschütterung diagnostiziert, zudem Rippenprellungen. Der untersuchende Arzt meinte, das Opfer des Boxweltmeisters sei mindestens zehnmal auf den Brustkorb geschlagen worden.

Walujew äußerte sich zunächst gar nicht zu den Vorwürfen. Er flog nach Deutschland. Dort rieten ihm Anwälte, sein Schweigen zu brechen. Walujew flog zurück nach St. Petersburg und gab folgende Version zu Protokoll. Nachdem er von seiner ob der Anweisung des Ordners aufgebrachten Gattin angerufen worden sei, habe er sich auf den Weg zur Sporthalle gemacht, den Ordner aufgesucht und ihm die Meinung gegeigt. Geschlagen habe er den Mann nicht, „nur ein wenig geschüttelt“, wie die russische Tageszeitung Iswestija berichtete. Kurz darauf präsentierte Walujew eine neue Version. Er sei nicht von seiner Frau zu Hilfe gerufen worden. Er habe ihr einen Schlüssel, den er versehentlich eingesteckt hatte, bringen wollen, und gesehen, wie ein Ordner seine Frau auf dem Parkplatz beschimpfte. Er sei dazwischen gegangen, der Ordner sei auf dem vereisten Platz ausgerutscht und habe sich so die Gehirnerschütterung zugezogen.

In den Tagen nach dem Vorfall in Russland wurde wild spekuliert über Walujews kriminelle Vergangenheit. Der große Mann mit der einschüchternden Physiognomie soll als 20-Jähriger in einem Schutzgeldtross der Mafia mitmarschiert sein. „Kolja-Kuwalda“ soll sein Spitzname gewesen sein: Vorschlaghammer-Kolja. Ein Mafiariese mit diesem Spitznamen wurde aber bereits 1997 ermordet. Walujew, Anfang der 90er-Jahre hoffnungsvoller Amatuerboxer, hatte, auch das wurde vor einem Jahr in Russland berichtet, einen Trainer, der auf eigene Faust ein paar Kioske erpresst haben soll – mit seinem Schützling im Schlepptau.

„Ich schlage nur im Ring“, sagte Walujew mit unbewegter Miene vor einem Jahr. „Wer Kolja kennt, weiß, dass er keiner Fliege etwas zu Leide tun kann“, sagt ein Freund, der ihn in Deutschland als Dolmetscher begleitet. Und dennoch verfolgen Walujew die Gerüchte. Die höchste Weihe, die ein Sportler in Russland erhalten kann, blieb Walujew verwehrt. Präsident Wladimir Putin hat den ersten russischen Schwergewichtsweltmeister im Profiboxen bislang nicht empfangen.

Vielleicht wird er es nach dem heutigen Kampf tun, wenn Walujew auch im 46. Auftritt als Profi ohne Niederlage bleiben wird. Der Russe fühlt sich gut vorbereitet. Seine Knieoperationen habe er gut überstanden. „Ich habe keine Probleme“, sagte Walujew nach dem Ende seiner Trainingseinheiten in Berlin. McCline, sein Gegner, komme ihm von der Statur her ohnehin entgegen.

Walujew muss nicht ganz so weit nach unten schlagen wie sonst. Der 36-jährige McCline misst 1,98 Meter – nur 15 Zentimeter weniger als der vermeintliche Vorschlaghammer-Kolja.