Bosnien-Abzug hat in Sarajevo wenig Freunde

Wirtschaft, Politik und hohe Militärs dementieren, dass die Bundeswehr Bosnien und Herzegowina schnell verlässt

SARAJEVO taz ■ Die Repräsentantin der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo, Mirela Gruenter-Decevic, sieht in dem angekündigten deutschen Truppenabzug ein falsches Signal. „Noch immer ist die Verfassungsreform in Bosnien und Herzegowina nicht durchgesetzt, noch immer gilt der Kompromiss von Dayton 1995, der eine viel zu komplizierte und die Nationalisten begünstigende Struktur des Staates hervorgebracht hat.“ Man müsste von internationaler Seite im Gegenteil eine große Anstrengung unternehmen, sagte Gruenter-Decevic, eine neue Konferenz abzuhalten, um dem Land eine Perspektive zu geben, und könne nicht auf halbem Wege stehen bleiben.

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hatte angekündigt, die Bundeswehr aus Bosnien und Herzegowina abzuziehen. Im Gespräch mit der taz deutete der Sprecher der Bundeswehr vor Ort, Oberstleutnant Günther Pusch, die Äußerungen Jungs anders: „Der Verteidigungsminister hat lediglich eine Absichtserklärung gemacht, eine Entscheidung ist das noch nicht“, erklärte Pusch gestern. Erst im Dezember, so Pusch, werde auf einer Truppenstellerkonferenz über einen möglichen Rückzug entschieden. Die Nato sei über die Haltung der Deutschen nicht begeistert. Gerade Frankreich und Italien meldeten schon bei den ersten Rückzugsüberlegungen des Verteidigungsministeriums bei einem Treffen in Finnland Bedenken an.

Auch bei Geschäftsleuten aus Deutschland und Mitarbeitern anderer deutscher Institutionen in Sarajevo denkt man ähnlich. Das ermutige nur die unverbesserlich nationalistischen Kräfte, meinen viele. Man habe bisher viel Geld in Bosnien investiert und müsse den Job zu Ende bringen. Das heißt, vor einem Abzug der Armeen eine stabile Lage zu hinterlassen und die flüchtigen Kriegsverbrecher zu verhaften.

Mit Sorge sehen viele, dass der Hohe Repräsentant, Christian Schwarz-Schilling, ohne Not von Rückzug der zivilen internationalen Verwaltung spreche.

Gerade angesichts der Gefahr, serbische Nationalisten könnten nach einer Entscheidung der internationalen Gemeinschaft, Kosovo von Serbien abzutrennen, ihrerseits fordern, die serbisch dominierten Gebiete in Bosnien an Serbien anzuschließen, sei eine internationale Truppenpräsenz notwendig. Die von Jung präferierten Polizeikräfte reichten dafür allerdings nicht aus. Bosnien könnte dann in kürzester Zeit wieder zum Krisenherd werden, heißt es.

ERICH RATHFELDER