Coole Leute, coole Aktionen

THEATER Die Jungen Akteure feiern 10. Geburtstag mit der Premiere des partizipativen Projekts „Homezone“ – und bekommen nun Unterstützung von einem Förderkreis

Authentizität, frohlocken die Fans. Reduzierte Personalkosten, errechnen erfreute kaufmännische Direktoren. Endlich wieder relevante Kultur, betonen Politiker

VON JENS FISCHER

Wenn ihr das nicht so mögt, wie wir heute Theater machen, dann macht’s doch selbst. So könnte – bockig – die Bürgerbühnen-Bewegung charakterisiert werden. Um dem Schwund an Aufmerksamkeit, Publikum und gesellschaftlicher Bedeutung zu begegnen, lassen Stadttheater auf bedeutende Bühnen der Kunst einfach Hinz, Kunz und Otto Normalverbraucher. Nachdem sie professionell im Theatermachen trainiert wurden.

Wenn die gesellschaftliche Mitte sich dann an ihrem Repräsentationsort selbst spielt und Gäste aus den Randbezirken dazulädt, stehen auch die Theater wieder im Mittelpunkt? Entwickelt sich gar eine neue Ästhetik und entdecken auch die Zuschauer ein direktes und lebendiges Verhältnis zu „ihrer“ Bühne? Authentizität, frohlocken jedenfalls die Fans. Reduzierte Personalkosten, beispielsweise für Schauspieler, errechnen erfreute kaufmännische Direktoren. Endlich wieder relevante Kultur, betonen Politiker.

Das Bremer Schauspiel hat in dieser Saison bereits mit auf den Hut spielenden Musikanten, Obdachlosen, Prostituierten eine „Straßenoper“ kreiert, Senioren durften ihre Auseinandersetzungen zum Thema „Einsamkeit“ in Szene setzen, für „Hair“ singt ein Bürgerchor, das Musiktheater bringt Béla Bartóks „Blaubart“-Oper nach Walle. Und die Jungen Akteure, die Bürgerbühne der Schüler und jungen Erwachsenen, kommen mit einem partizipativen Großprojekt nach Gröpelingen: „Homezone“. Die Premiere startet heute an der dortigen Straßenbahnendhaltestelle.

Versprochen ist eine theatrale Mischung aus Persönlichem und Öffentlichem – für Flaneure mit Lust auf Stadtteilerkundung. Gröpelingen – das sei schließlich nicht nur ein Billigklamottensupermarkt in der „Waterfront“. „Es ist auch sehr schön hier, davon wollen wir erzählen“, so Nathalie Forstman, eine der Projektleiterinnen. „Aus diesem kulturell unterversorgten Stadtteil kommen Erwachsene selten freiwillig ins Theater, und unsere Junge-Akteure-Arbeit liegt den Jugendlichen fern.“ Der Weg ins Viertel sei zu weit, die berühmte Schwelle zur deutsch-bürgerlichen Kultur zu hoch. Also reisen die Theatermacher an: im Bremer Westen viel Neues. Der Verein Kultur vor Ort half beim Vernetzen, das Bürgerhaus Oslebshausen mit Räumen, die Gröpelinger Oberschule stellte Schüler zur Verfügung, 40 waren es anfänglich, elf sind es noch nach vier Monaten Probearbeit. Alle zwischen 11 und 18 Jahren alt.

Die Jungen Akteure brachten ebenfalls elf Jugendliche aus theateraffinen Stadteilen mit. Kippenbergschüler beispielsweise. In Wochenendworkshops, bei Flashmobs und mit Initiativen wie einem „mobilen Straßencafé“ kamen alle miteinander und mit Passanten ins Gespräch. Wie geht Heimat in einem migrantisch geprägten Stadtteil? Wie sehen die Ideale von einem Zuhause aus, wie die Realitäten daheim? Wo gehöre ich wie und warum hin? Mit diesen Fragen soll Gröpelingen neu entdeckt und aus den Perspektiven der Jugendlichen präsentiert werden. Es gibt für jeweils fünfköpfige „Reisegruppen“ zwei etwa einstündige Routen mit insgesamt 14 Spielstationen.

Zwei Tänzer des Theaters Bremen haben beispielsweise am Ohlenhofplatz mit Jugendlichen eine Choreografie erarbeitet: Suche nach einem individuellen Motionskanon und dessen gruppendynamische Verquickung als Chorus Line zur Reviermarkierung. „An einem Home-Generator können Besucher künstlich Heimatgefühle erzeugen“, verspricht Forstman. In der Moschee berichtet ein Gröpelinger über die Bedeutung, die der Ramadan gerade für ihn hat. An einer Lauschstation ist zu erfahren, wie sich deutsche Mädchen türkischer Eltern kulturell definieren.

Zum Finale treffen alle „Homezone“-Besucher und -Macher in einem von der Künstlerin Anja Fußbach gestalteten Raum des ehemaligen Kaufhauses C. A. Klein zusammen: Ein veganes Mahl wird kredenzt. „Da wir vermitteln konnten, wie viel Spaß es macht, sich kreativ auszupowern“, so Forstmann, bestehe die Hoffnung, dass einige der Teilnehmer nun den Weg ins Theater finden – und die Jungen Akteure das Projekt fortsetzen, einen festen Außenposten in Gröpelingen einrichten dürfen. Von wegen Nachhaltigkeit, Kontinuität. Ernten, was gesät wurde.

Aber schon die jetzige Produktion kann nur mit Hilfe diverser Drittelmittel realisiert werden. Die Jungen Akteure haben nur zwei feste Stellen, arbeiten mit Praktikanten, FSJlern, Honorarkräften – und standen schon vor dem Aus. Die mit Geldern zur Kulturhauptstadtbewerbung 2005 gegründete „Theaterschule“ war nur bis 2012 mit 150.000 Euro jährlich durch die Kulturbehörde finanziell abgesichert. Der damals neue Intendant Michael Börgerding ließ das Projekt nicht fallen. Im Gegenteil: Er holte es aus dem Schildstraßen-Domizil ans Theater, räumte ihm den Brauhauskeller frei und finanziert die Arbeit aus dem eigenen Etat.

Rechtzeitig zum 10. Geburtstag der Jungen Akteure wurde der Förderkreis Junges Theater Bremen e. V. gegründet. Ziel: Lobbyarbeit und Akquise privater Fördergelder. 23 Mitglieder gibt es bereits, die mindestens 60 Euro Jahresbeitrag zahlen. Damit es mehr werden, wurde eine Pressekonferenz einberufen. Unverzichtbar seien die Jungen Akteure für Erwachsene, die erfahren wollen, wie Jugendliche über unsere Gesellschaft denken. So begründet die Vereinsvorsitzende, Pensionärin Dagmar von Blacha, ihr Engagement. Einst war sie bei der Kulturbehörde für Jugendtheater zuständig.

Jugendliche beschreiben die Arbeit bei den Jungen Akteuren als „Therapieform“ für eine „positive Persönlichkeitsentwicklung“, es sei „Flucht vor dem Alltag“ und Zuflucht, „mit coolen Leuten coole Aktionen“ zu machen – nämlich durch andere Möglichkeiten der Begegnung offener, selbstbewusster zu werden. Auch Kinderarzt Hendrik Crasemann unterstützt den Verein: „Weil ich täglich das Theater in der Praxis habe, dass Kinder kein Theater spielen.“ Sondern durch Leistungsdruck, Normierungszwänge, die Kommunikation über Displays ihre Fantasie, Spielfreude, Energie, Kreativität, sinnliche Erlebenslust verlieren. Aber auch wiedergewinnen können. Wie jetzt vielleicht einige einst theaterferne Jugendliche in Gröpelingen berichten …

■ „Homezone“ feiert heute (Samstag) um 16 Uhr Premiere, Treffpunkt: Haltestelle Gröpelingen