Alle woll’n dasselbe - Schiffe auf der Elbe

KONTROVERSE Von Dienstag an verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über die Frage, ob die Elbe nochmals vertieft werden darf. In Hamburg gilt dies als „Schicksalsfrage“, Hafenwirtschaft und Naturschützer stehen sich unversöhnlich gegenüber ➤ Schwerpunkt SEITE 43–45

Wer das Projekt ablehnt, darf sich nicht wundern, als Vaterstadtverräter geschmäht zu werden

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Was ist von einer Stadt zu halten, die ihre eigene Hymne schändet? „Stadt Hamburg in der Elbe Auen, wie bist du stattlich anzuschauen“, lauten die beiden ersten Zeilen der 1828 geschriebenen „Hammonia“, seit 1890 die offizielle Landeshymne der Freien und Hansestadt Hamburg. Damals gab es die Auen der Elbe noch überall im Stadtgebiet, heute sind nur noch wenige klägliche Reste übrig im Vordeichland oberhalb des Hafens. Stromabwärts, in Richtung Nordsee, hat Hamburg sie trockengelegt, die von der Tide beeinflussten Ufer, die es weiter unten noch gibt, gehören zu Schleswig-Holstein und Niedersachsen.

Seit fast zwei Jahrhunderten wird der Fluss, der längst eine Bundeswasserstraße ist, regelmäßig tiefer gelegt, bislang um mehr als zehn Meter. Über die nächste Elbvertiefung – die inzwischen zehnte – um weitere gut zwei Meter, die schon seit drei Jahren realisiert worden sein sollte, verhandelt ab Dienstag das Bundesverwaltungsgericht. Ungewiss ist der Ausgang in dieser „Schicksalsfrage“, wie beide Seiten es sehen: eine ökologische für die Natur, sagen die klagenden Umweltverbände, eine ökonomische für den Wirtschaftsstandort, sagen Hamburg und der Bund, die Beklagten – der klassische Konflikt.

Die wirtschaftliche Seite

Hamburg ist der größte Hafen Deutschlands, der zweitgrößte in Europa, weltweit die Nummer 16. Im Jahr 2012 sorgte er für eine Wertschöpfung von knapp 20 Milliarden Euro und mit 790 Millionen Euro für mehr als eine Zehntel der Hamburger Steuereinnahmen, in der Metropolregion sind etwa 150.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Hafen abhängig. Aus Sicht der Wirtschaftsverbände ist der Hafen der Ast, auf dem Hamburg sitzt, und an dem sollte bekanntlich nicht gesägt werden.

Der Hamburger Hafen war 2013 mit 140 Millionen Tonnen Güterumschlag und 9,3 Millionen Standardcontainern (Twenty-foot Equivalent Unit = TEU) der größte Güterumschlagplatz in Deutschland vor Bremerhaven mit 5,8 Millionen TEU und der größte Hafenbahnhof Europas. Woche für Woche ist Hamburg Start und Ziel von etwa 900 Güterzügen, 160 Feederschiffe verteilen die in Hamburg umgeschlagenen Waren in alle Staaten des Nord- und Ostseeraums. Wer das behindert, versetzt erst den Hafen, dann die Stadt und letztlich die Region „in eine Abwärtsspirale in die Zweitrangigkeit“, so der langjährige Tenor der Wirtschaftsverbände und des Hamburger Wirtschaftssenators Frank Horch (Interview Seite 44).

Außerdem schone der Schiffstransport die Umwelt, behaupten die Befürworter der Elbvertiefung, weil er pro Container nur etwa drei Prozent der Emissionen eines Lastkraftwagens verursache. Ladung also in Bremerhaven oder im unausgelasteten Wilhelmshavener Jade-Weser-Port an der Nordsee umzuschlagen und auf dem Landweg von und nach Hamburg zu transportieren sei volkswirtschaftlich unsinnig, ökologisch unverantwortlich und verkehrstechnisch katastrophal.

Und deshalb, so die Befürworter, müsse der Fluss erneut vertieft werden, damit die immer größer und breiter werdenden Containerfrachter den Hamburger Hafen weiterhin anlaufen können. Geplant ist eine „Fahrrinnenanpassung“, wie das Vorhaben offiziell heißt, auf 19 Meter unter Normalnull. Dadurch sollen Riesenfrachter mit einem Tiefgang von 13,5 Metern auch bei Niedrigwasser den Hafen anlaufen und verlassen können, auf der Flutwelle sollen Tiefgänge bis 14,5 Metern ohne Grundberührung möglich sein.

Zudem wird die Fahrrinne verbreitert, weil die Schiffe auch immer breiter werden. Für weite Abschnitte der Unterelbe besteht ein Begegnungsverbot für Schiffe ab einer Breite von 50 Metern. Sie würden nicht aneinander vorbeipassen. Deshalb soll vor dem schleswig-holsteinischen Glückstadt eine deutlich breitere Begegnungsbucht geschaffen werden, wo die dicken Pötte langsam aneinander vorbeikommen können.

Die ausgebaggerten Sedimente, immerhin 40 Millionen Kubikmeter Sand und Schlick, würden 2,5 Millionen Lastwagen füllen. Sie werden an tiefen Stellen in die Elbe gekippt, der größte Teil wird südwestlich von Helgoland in die Nordsee geschüttet. Das alles ist nicht ganz billig: Zurzeit werden die Kosten der Elbvertiefung auf gut 600 Millionen Euro veranschlagt, mit einigen zusätzlichen Maßnahmen kommt das Projekt in die Dimensionen der Elbphilharmonie: 770 Millionen Euro dürften es locker werden.

Die ökologische Seite

Auf der anderen Seite ist die Unterelbregion weitläufig nach deutschen und europäischen Naturschutzrechten geschützt – so wie die Weser, zu deren Vertiefung ebenfalls ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig ist. Nach den EU-Richtlinien sind weite Teile des Flusses, der Wattsäume, Sandbänke, Ufer und Flachwasserzonen geschützt, um seltene oder auch endemische, also weltweit nur an der Unterelbe lebende Tiere und Pflanzen zu erhalten.

Zum naturschützerischen Symbol brachte es der Schierlings-Wasserfenchel – ein eher unscheinbares Pflänzchen, das aber eben endemisch ist. Würde er hier aussterben, gäbe es auf dem ganzen Planeten keinen Schierlings-Wasserfenchel mehr. Das muss man nicht schlimm finden, darf es aber unter dem juristischen Schirm europäischer Naturschutzgesetze. Und deshalb klagen mehrere Umweltverbände auf Beachtung ökologischer Normen, darunter der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Hamburg (Interview Seite 44).

Die Umweltverbände befürchten vermehrte Sauerstofflöcher in den Sommermonaten und schwere Schäden für die Fische und andere Lebewesen. Die ökologisch wichtigen Schlickwatten, in denen bei Niedrigwasser Vögel nach Nahrung suchen, würden sich durch Strömungsprozesse in lebensarme Sandbänke umwandeln. Vor allem nahe an den Ufern werde die Fließgeschwindigkeit der Unterelbe erheblich zunehmen, unter Wasser Böschungen und Bänke rasieren und somit wichtige Flachwasserzonen weiter vernichten.

Wer in Hamburg „Elbvertiefung“ sagt statt „Fahrrinnenanpassung“, gilt der unhanseatischen Gesinnung verdächtig. Wer das Projekt ablehnt, darf sich nicht wundern, als Vaterstadtverräter geschmäht zu werden. SPD, CDU, FDP, Gewerkschaften und alle Wirtschaftsverbände stehen einmütig zu dem Vorhaben, die Linke fährt eine Schlingerkurs zwischen Hafenarbeitsplätzen und ökologischen Bedenken, die Grünen haben Probleme, ihre Ablehnung des Vorhabens zu begründen, weil sie 2008 mit Eintritt in die schwarz-grüne Koalition unter Bürgermeister Ole von Beust das Projekt mittragen mussten.

Deshalb stehen die klagenden Umweltverbände BUND und Nabu eher einsam auf weiter Flur. Als das Bundesverwaltungsgericht im Herbst 2012 auf ihren Antrag hin einen vorläufigen Baustopp für die Elbvertiefung verhängte und alle vorläufigen Baumaßnahmen untersagte, kam in Hamburg Lynchstimmung auf.

Der Unternehmensverband Hafen Hamburg forderte, die Hansestadt solle sämtliche Zuwendungen an die beiden Umweltorganisationen einstellen. Weil durch den Baustopp Wirtschaft und Arbeitsplätze gefährdet seien, „ist es Hafenarbeitern nicht zuzumuten, mit ihren Steuergeldern Umweltverbände zu finanzieren“, so der Verbandspräsident und Geschäftsführer des Logistikunternehmens Eurogate, Gunther Bonz. Das eingesparte Geld, etwa 600.000 Euro pro Jahr, solle stattdessen dafür genutzt werden, die Hafengebühren für Großcontainerschiffe zu senken, um die Reeder bei Laune zu halten.

Dieser radikale und rechtlich fragwürdige Vorstoß löste in der Politik und auch bei den besonneneren Kräften in der Hafenwirtschaft Kopfschütteln aus. Umgesetzt wurde er zwar nicht, aber er symbolisierte den Grad der Verbitterung und Gegnerschaft zwischen Wirtschaftsführern und Umweltschützern in dieser „Schicksalsfrage“. Und so war auch jetzt für diesen Schwerpunkt der taz.nord kein Vertreter der Hafenwirtschaft oder der Handelskammer zu einem Streitgespräch mit dem BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch bereit – offiziell „aus Respekt vor dem Bundesverwaltungsgericht“.

Sechs Tage hat der zuständige Senat des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts für die mündliche Verhandlung anberaumt. Die Leipziger Richter sind in erster und letzter Instanz für das sehr umfangreiche Verfahren zuständig. Allein der Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2012 umfasst rund 2.600 Seiten, sämtliche Akten zu dem komplexen Thema füllen einen kompletten Raum.

Möglich sind drei Varianten: Die Bundesverwaltungsrichter könnten das Verfahren an den Europäischen Gerichtshof weiterleiten. Ein ähnliches Verfahren zur Weservertiefung hatten sie mit Fragen zur Auslegung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie nach Luxemburg weitergereicht, dort wird zurzeit parallel verhandelt, eine Entscheidung aus Luxemburg wird für Anfang nächsten Jahres erwartet. Für Hamburg und die Hafenwirtschaft würde das etwa eineinhalb weitere Jahre Unsicherheit bedeuten.

Möglich ist auch, dass die Leipziger Richter nach dem EuGH-Beschluss zur Weser Anfang nächsten Jahres über die Elbe entscheiden – pro oder contra. Als wahrscheinlich gilt politischen Beobachtern, dass das Bundesgericht die Elbvertiefung im Grundsatz erlaubt, aber an zusätzliche ökologische Auflagen knüpft. Führende Hamburger Politiker haben sich bereits darauf eingerichtet, kurzfristig weitere zweistellige Millionenbeträge für naturschützerischen Schmuck herbeizaubern zu müssen.

Selbst das würde, Schuldenbremse hin oder her, in Rathaus und benachbarter Handelskammer mit Champagner begossen werden. Denn auch wenn Hamburg mit der „Hammonia“ nicht pfleglich umgeht, so werden doch die beiden Schlusszeilen der vierten Strophe der Hymne unverändert hoch geachtet: „Das Meer fleußt um die Erd’ herum, drum ‚Floreat commercium!‘“ – „drum blühe der Handel“.