Nur noch vierzig Monate

Am Samstag wurde Hannelore Kraft als Spitzenkandidatin der NRW-SPD gefeiert. Ganz schön früh – gewählt wird in drei Jahren

AUS BOCHUM KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

„54, 74, 90, 2010“, sagt Hannelore Kraft. Die SPD-Oppositionsführerin zitiert den Mitgröhl-Song der Fußball-WM in Deutschland. Mit „Leidenschaft“ und „Herz“ wolle die NRW-SPD die Macht im Land zurückerobern. Kraft beendet so ihre Rede und lässt sich feiern. 450 Delegierte in der Bochumer Jahrhunderthalle stehen, jubeln und klatschen. Drei, vier Minuten lang. Die neue Landeschefin winkt und lacht. Es ist der Höhepunkt einer großen Show – mit Tränen, Äpfeln, viel SPD-Historie und einer großen Portion Kurt Beck. 40 Monate oder dreieinhalb Jahre vor der Landtagswahl 2010 hat die NRW-SPD ihre Kampagne eröffnet.

Der große Tag in der alten Industriehalle beginnt am Vormittag wie ein ganz normaler Parteitag. Noch sind nicht alle Delegierten da, es ist laut im Saal. Vizekanzler Franz Müntefering hält die Vorrede für Kraft. Kurze Sätze: „Die Sozialdemokratie lebt“, „Heute fängt was an“, „Wir wollen wieder regieren in NRW“.

Hannelore Kraft geht ans Mikro. Sie redet langsam. Gleich zu Beginn spricht Kraft an, dass sie erst seit zwölf Jahren Mitglied der SPD ist. Sie „bedaure“, dass sie „nie bei den Falken oder den Jusos war“, lacht sie. Die Delegierten lachen auch. Die Kandidatin betont die Grundwerte der SPD, sagt mehrmals „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“. Zwischen den einzelnen Worten macht sie kurze Pausen.

Kraft erinnert an die lange Geschichte der Partei. Sie stellt Peter Wolf vor, der in der ersten Reihe sitzt. Der weißhaarige Mann aus Essen ist 96 Jahre alt und seit 80 Jahren Mitglied der SPD. Wolf war in der Nazizeit inhaftiert. Genossen wie Wolf lehrten sie „Demut und Ehrfurcht“, sagt Kraft.

Es ist der Moment, ab dem die Delegierten der Rednerin folgen. Sie redet jetzt lauter und kämpferischer. Sie spricht über Jürgen Rüttgers und die „kalte und unsoziale Politik“ von Schwarz-Gelb. Sie will eine „Arbeitsmarktkonferenz“, um über „neue Chancen“ für Erwerbslose zu reden. „Zusammen neue Chancen schaffen“, heißt auch das Motto des SPD-Parteitags. Die CDU, die zeitgleich in Düsseldorf ihren Neujahrsempfang feiert, hat ein ähnliches Motto gewählt: „Land der neuen Chancen“.

Nach rund 60 Minuten Rede bittet Kraft um das Vertrauen der Delegierten. Noch vor der offiziellen Verkündung des Wahlergebnisses sickert das Resultat im Saal durch: 95,6 Prozent. Mitarbeiter und Freunde umarmen Kraft. Kurt Beck herzt und drückt die neue Landeschefin. Parteifreunde aus Mülheim schenken ihr einen Kompass, einen Hammer, Arbeitshandschuhe und andere Utensilien für die Machtausübung. „Bei Euch hab ich es gelernt“, sagt Kraft zu den Genossen aus ihrer Heimatstadt. Ihre Stimme bricht, sie weint.

Ein Gesandter der Grünen überreicht Kraft einen Korb Äpfel mit einem Schild: „Damit Sie ab morgen KRAFT-voll zubeißen können.“ Ein Glückwunsch-Telegramm der französischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal wird verlesen: „Amitiés socialistes“. Mit sozialistischen Grüßen. Der Wahlkampf in Paris und NRW hat begonnen.

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