Die Nebentüren der Wahrnehmung

Die Berliner Musik-Avantgarde ist nicht totzureden: Denzel + Huhn, die Nachfolger der DDR-Untergrundgröße Ornament & Verbrechen, bringen „Paraport“ heraus, ihre dritte Platte. Unnahbar schön und berechnend nebenläufig

Verstörendes Tackern, langsame Soundflächen, eine spröde Akustikgitarre. Denzel + Huhn machen klaustrophobisch-düstere, anonyme Großstadtmusik, wie man sie seit mindestens anderthalb Dekaden zu kennen glaubt, die aber mittels kleinster Verschiebungen in Sound und Struktur immer wieder neu entsteht. Klar ist vieles davon wortlose Tapete, auf die man Bilder von trostlosen, regennassen Eisenbahntrassen, unwohnlichen Hochhäusern, in mildem Morgengrauen stehenden Strommasten und seelenlosen Roboterhallen projizieren kann. Trotzdem lohnt es sich immer wieder, genauer hinzuhören, sich in die Soundscapes einzuklinken, diese vermeintlich abstrakte, dabei immer auch emotionale Musik (sofern man unter Gefühl nicht nur Liebe und Heimeligkeit versteht) auf sich wirken zu lassen. Das funktioniert gut, in allen Bereichen, und wenn es nur vom bedrohlichen Bassdröhnen wie im Stück „Erinnye“ herrührt: Diese Musik will etwas sagen, auch wenn nicht auf Anhieb zu verstehen ist, was.

Denzel + Huhn kennen sich in Sachen musikalischer Situationsflächenherstellung sehr gut aus. Vor dieser Platte haben sie auf kleinen Labeln allerhand Zeugs wie „Filet“ und „Time is a Good Thing“ veröffentlicht, mehrheitlich beim bilateral operierenden Label City Centre Offices, auf Vermittlung der von Tarwater und To Rococo Rot bekannten Lippok-Brüder. Das wiederum sind genau die, mit denen Bertram Denzel und Erik Huhn schon in den Achtzigern Musik gemacht haben. Als „Ornament & Verbrechen“ haben die vier zur Bildung der legendären DDR-Kassetten-Szene beigetragen, bevor man in der wiedervereinten Stadt getrennte, aber nie weit voneinander entfernte Wege ging (mehr zum DDR-Untergrund bitte im Reader „Spannung. Leistung. Widerstand. – Magnetbanduntergrund DDR 1979–1990“ nachlesen, erschienen im Verbrecher Verlag).

Die Musik lotete schon damals die Schnittstellen zwischen kühler Eleganz, dunkler Esoterik und schlauer Avantgarde aus, wobei stets deutlich wurde, dass dies nur von außen herangetragene Begriffe waren, mit denen weder die Lippoks noch Denzel + Huhn wirklich was anfangen konnten. Überhaupt ist der biografische Hintergrund ihrer Musik relativ unwesentlich, kein Wunder, dass sich so wenig über die beiden Musiker herausfinden lässt.

Wichtiger ist auf Platte. Und dort ging es Denzel + Huhn immer um die Nebentüren, die Seiteneinstiege. Um Rückzüge und Reduktionen. Um Mathematik. Auf „Paraport“ (Paraport heißt ebenso viel wie Nebentür oder Seiteneingang) gibt es, wie traditionell bei avantgardistisch-elektronischer Musik, sehr schöne, wortkarge und konkrete Tracktitel. So heißt ein Stück „Karlsruhe“ (was der Musik zufolge eine müde vor sich grollende Stadt sein muss, die früh dichtmacht), ein anderes „Dorian“ (den man sich in einem durch Geisterbahnhöfe schleichenden Intercity vorstellen kann), ein drittes heißt „NDR“. Das Titelstück baut sich mit einem Klopfen auf, bis ein langsam synkopischer Loop einsetzt, der kurz darauf von einer traurigen Schiffssirene abgeholt wird. Es ist das direkteste, verstörendste Stück der Platte, ein so unnahbares wie schönes Stück berechnender Musik. Nebenläufig, kalt und düster.

Von jeglichen Jugendkulturen ist die Musik der beiden Berliner natürlich Myriaden Lichtjahre entfernt. Klubbeschallung hat sie noch nie interessiert, auch der alteingesessene Chillraum wird mit ihnen eher zu einer Erfahrungskapsel, einer beängstigenden Irrfahrt in einem ruhig dahinsurrenden U-Boot. Und dieses Produzieren, Aushalten und Austarieren von Angst ist vielleicht das, was ihre Musik so besonders macht. RENÉ HAMANN

Denzel + Huhn: „Paraport“ (City Centre Offices/Hausmusik)