Berlin streitet über eine Berufsarmee

Die Debatte um die Wehrpflicht ist in vollem Gange. Ihre Kritiker schelten das bisherige System als ineffizient und ungeeignet, um internationale Vereinbarungen zu erfüllen. Doch die große Koalition hält mehrheitlich am „Staatsbürger in Uniform“ fest

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Die Kritik an der Bundeswehr reißt nicht ab. Immer mehr Stimmen werden laut, die eine Armee aus Wehrpflichtigen schon vom Konzept her für falsch halten. Grüne, Linksfraktion und FDP sowie Parteilinke aus der SPD und die Jusos fordern daher ihre Abschaffung.

„Wir geben viel Geld für eine Struktur aus, die uns nicht ermöglicht, internationaler Verantwortung voll umfänglich gerecht werden“, sagte der Grünen-Abgeordnete Volker Beck der taz. Es könne nicht sein, dass die Bundeskanzlerin „friedenserhaltende Auslandseinsätze“ von vornherein ausschließe, weil „angeblich keine Soldaten mehr zur Verfügung stehen“, so Beck in Anspielung auf einen Sudan-Einsatz, den Angela Merkel mit dieser Begründung abmoderiert hat. Im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder Großbritannien trage Deutschland „nur einen Bruchteil zur Unterstützung der UNO bei“.

Das Hauptargument der Bundeswehrgegner: Sie ist ein Relikt aus Zeiten des Kalten Krieges. „Die Wehrpflicht ist geeignet für die Landesverteidigung, wenn der Feind unmittelbar vor der Grenze steht“, so Beck. Heute sehen die Grünen die Sicherheitsrisiken für Deutschland „weit weg, in Nahost und in Afrika“. Auch für den SPD-Abgeordneten Niels Annen ist die Wehrpflicht ein „Auslaufmodell“, gegen das die „sicherheitspolitische Lage spricht“. Die Gegner der Wehrpflicht kritisieren auch die Ineffizienz des jetzigen Systems. Von 250.000 Soldaten insgesamt stünden nur 10.000 für Auslandseinsätze bereit, monieren die Grünen. „Wehrpflichtige kann man nicht ins Ausland abkommandieren. Berufssoldaten dagegen könnte man gezielt für die Anforderungen im Einsatzgebiet ausbilden“, so Beck. Eine spezialisierte Truppe werde viel eher dem soeben im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik“ konstatierten Wandel der Aufgaben gerecht – von der Landesverteidigung hin zur UN-kompatiblen Einsatzarmee.

Zu diesem neuen Konzept gehöre auch „eine Zielbeschreibung“ für Auslandseinsätze. „Hier fehlt zurzeit ein klares Konzept“, kritisiert Beck. Es gehe nicht, dass der Rückzug aus einem Land mit der Überlastung der Truppe erklärt werde, wie derzeit im Falle Bosniens. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat für dieses Land den Rückzug der Bundeswehr angekündigt und dafür gestern Kritik geerntet. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Ulrike Merten (SPD) sagte, der Rückzug müsse von der Stabilität in Bosnien und im Kosovo abhängig gemacht werden.

Rückendeckung erhalten die Politiker von zwei ehemaligen Generälen: „Es gibt keine Strategie für den Balkan, es gibt keine für Afghanistan“, sagte der ehemalige Befehlshaber der Kosovo-Friedenstruppe, Klaus Reinhardt. Der Exgeneralinspekteur Hans-Peter von Kirchbach sagte, das Militär könne immer nur eine Zeitpause für die Politik schaffen.

Die Linkspartei will die Bundeswehr zwar auch durch eine Berufsarmee ersetzen, hält aber nichts von Auslandseinsätzen. Vielmehr soll sich eine auf 100.000 „Mann und Frau“ reduzierte Bundeswehr auf die Landesverteidigung im Falle eines Angriffs konzentrieren. Denkbar ist für die Linken auch die komplette Integration in eine europäische Armee.

Die Mehrheit von Union und SPD hält an der Bundeswehr fest. „Ich sehe keinen Grund für eine Abschaffung“, sagte Merten der taz. „Nur so ist die Anbindung an die Gesellschaft gewährleistet.“ Auch in der CDU verweist man auf den „Staatsbürger in Uniform“. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte so verhindert werden, dass noch einmal ein „Staat im Staate“ entstehen kann.