Gabriels Klima-Pop

Hauptsache, gute Figur. Der Bundesumweltminister nutzt die Klimapolitik zum Sprung auf die große Bühne

VON STEPHAN KOSCH
UND HANNA GERSMANN

Der Rüffel aus dem Kanzleramt war deutlich. Man muss keine neuen Institutionen schaffen, ließ Angela Merkel über ihren Sprecher ausrichten. Basta! Der Adressat: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Der hatte gerade seine neueste Idee verkündet: Ein „Industriekabinett“, einen Ausschuss, in dem auf höchster politischer Ebene klimafreundliche Industriepolitik gemacht werden soll.

Doch der umtriebige Gabriel wird sich nicht so einfach von seiner Kabinettschefin einfangen lassen. „Ich glaube nicht, dass der Minister das Vorhaben zu den Akten legt“, hieß es gestern im Bundesumweltministerium. „Er wird weiter dafür werben.“ Nur bei wem? Gabriel hat ohnehin schon keinen gleichwertigen Gegner mehr im Bundeskabinett. Anders als bei seinem Amtsvorgänger Jürgen Trittin muss er sich nämlich nicht ständig mit einem industrienahen Wirtschaftsminister oder einem Autokanzler streiten. Doch was macht er mit dieser Macht?

Mitte Oktober, Berliner Abgeordnetenhaus: Die deutschen Umweltverbände treffen sich zu einer zweitägigen Konferenz und formulieren ihre Forderungen an die Bundesregierung für die EU-Präsidentschaft, die Deutschland ab Januar innehat. Auch Gabriel ist da, er nimmt die Umweltlobbyisten ernst. „Wir brauchen Sie“, ruft er ihnen zu.

Sein Haus hat die Konferenz sogar gesponsert – und deren Datum festgelegt. Eigentlich zu spät, um der Regierung noch Wegweisendes mitzugeben. Angela Merkel hatte schon gut eine Woche zuvor ihr Programm für die sechs EU-Monate vorgestellt. Das Termingeschiebe mag Zufall gewesen sein – oder Kalkül?

Die Umweltschützer klatschen laut Beifall, als er den Saal betritt – rund 100 Kilo Selbstbewusstsein auf der Rednertribüne. Gabriel referiert nicht, er hält eine Wahlkampfrede. Klimaschutz ist wichtig, ja. Umweltschutz und Wirtschaft sind kein Gegensatz mehr, nein. Er jongliert mit Fakten, Zahlen. Er umarmt die Umweltschützer – und grenzt sie gleich wieder aus.

Beispielsweise, als er auf den Klimakiller Kohlendioxid aus dem Auspuff zu sprechen kommt. Die Automobilindustrie wird die selbst gesteckten Reduktionsziele nicht einhalten, ihre Neuwagen fressen noch immer zu viel Sprit. Gabriel will sich das nicht „länger angucken“. Er wolle VW & Co. per Gesetz dazu zwingen, ihre Motoren effizienter zu machen, sagt er. Das hört sich gut an.

Doch dann ruft er seinen Zuhörern zu: „Sie mögen sich mit dem Umweltschutz besser auskennen als ich, aber ich verstehe was vom politischen Management.“ Er weiß, was sich durchsetzen lässt, will er sagen – und lächelt ein wenig. Die Wünsche der Umweltschützer sind illusorisch. „Aber lassen Sie uns öffentlich streiten“, sagt er laut. „Am Ende sind wir dann froh“ – darüber, dass überhaupt ein Grenzwert durchgesetzt wird.

Gabrieles Methode heißt Kompromiss, egal für was und wie, Hauptsache, er macht dabei eine gute Figur. Er macht sich beliebt – bei Umweltschützern und Industrie zugleich. Seinen Vorgänger Trittin beschimpfte die Wirtschaft als Dosenminister, und die grüne Klientel war von ihm enttäuscht. Über Gabriel gibt es kein schlechtes Wort.

Die Unternehmen müssen nicht mehr über das Wirtschaftsministerium gehen, um die Umweltpolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Gabriel lädt sie zu sich ins Ministerium, gibt ihnen viel mehr Raum als sein Amtsvorgänger. Erst RWE, dann Eon, dann Vattenfall, er spricht mit jedem einzeln. Das ist neu. Trittin lud sie immer im Pulk. Gabriel setzt sich mit jedem einzelnen Bedenkenträger auseinander – und macht Zugeständnisse …

Zu viele, sagen Kritiker (siehe Interview). Denn Gabriel ist zwar ein Meister der Ankündigungen. Doch die konkreten Maßnahmen bleiben weit hinter seinem Klima-Pop zurück. Zum Beispiel beim EU-Emissionshandel. Ein im Prinzip gutes Instrument für den Klimaschutz. Jedes Unternehmen erhält Zertifikate für eine bestimmte Menge an CO2, die es in die Luft blasen darf. Wer weniger braucht, kann den Überschuss an der Börse verkaufen. So können die Firmen mit Klimaschutz Geld machen. Und eigentlich auch der Staat, wenn er die Emissionsrechte versteigern würde.

Macht er aber nicht. Gabriel hat in einer seiner ersten wichtigen Amtshandlung als Umweltminister die Zertifikate für 2008 bis 2012 für knapp 500 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in Deutschland umsonst ausgegeben. Bei einem Marktpreis von aktuell 15 Euro je Tonne bedeutet das ein Geschenk im Wert von 7,5 Milliarden Euro. Das sichert ihm das Wohlwollen der Energiekonzerne, nicht unwichtig für einen SPD-Mann, der sich politisch noch lange nicht am Ziel sieht.

Ab Januar ist er für ein halbes Jahr der oberste europäische Umweltminister. Solch eine Position lässt sich nutzen: Die EU soll sich verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, fordert Gabriel. Dieser habe die Chance, ein wirklich großer Minister zu werden, sagte der Umweltexperte Hermann Ott vom Wuppertal Institut gestern der Financial Times Deutschland. Bleibt die Frage, in welchem Ressort.