„Sind wir im Irak?“

Überraschung am Montagabend: Das ZDF liefert mit dem Paranoia-Thriller „Fürchte dich nicht“ (20.15 Uhr, ZDF) Pulp Fiction auf höchstem Niveau

VON CHRISTIAN BUSS

Stabsfeldwebel Gürtler steht in voller Kampfmontur und mit seiner M16 im Anschlag im Schulsekretariat. Er ist gekommen, um seinen Sohn hier rauszuholen. Angeblich hat der Kleine dem Soldatenvater per SMS Hilfesignale gesendet, also stürmt der Kämpfer zum Klassenzimmer. Vor der Lehranstalt streiten sich derweil das Sondereinsatzkommando (SEK) und die Feldjäger, wer den Stabsfeldwebel ausschalten darf. Eine unbekannte dritte Instanz nutzt die Gunst der Stunde und erlegt ihn aus dem Hintergrund. Danach geht das Kompetenzgerangel los: Wer übernimmt denn nun die Verantwortung?

„Fürchte dich nicht“ ist ein schöner, schneller, ungehobelter Paranoia-Thriller geworden: präzise im Detail, ungeheuerlich bei der Verknüpfung dieser Details. Es geht, so viel ist irgendwann klar, um Experimente des militärisch-industriellen Komplexes; um die neurolinguistische Programmierung von Soldaten zu Kampfmaschinen.

Ganz unverhofft in diese geheimen Forschungen gerät die Kommissarin Bischof (Maria Simon). „Sind wir hier im Irak, oder was?“ fragt die verdutzte Polizistin am Anfang, als sich SEK und Feldjäger um sie herum aufbauen, um den ausgerasteten Stabsfeldwebel zu exekutieren. „Wir nicht“, antwortet MAD-Offizier Sebald (Justus von Dohnányi) mit Verweis auf den mentalen Zustand des Delinquenten, „aber wir wissen leider nicht, wo er sich gerade aufhält.“

SEK, Feldjäger und MAD; Hypnose, Autosuggestion und Cyber-Trainingstechniken – das alles ist recht viel für 80 Minuten Montagskrimi. Dass man sich auf dieses kurze monströse Komplott einlassen mag, ist auch Hauptdarstellerin Maria Simon zu verdanken. Fast schon ein kleines Comeback ist der Angstschocker für die Schauspielerin, die unlängst in „Die Pathologin“ weit unter Niveau spielen musste und deren Part in „Nicht alle waren Mörder“ traurig zusammengestaucht erschien. Hier gelingt ihr nun das Kunststück, die Pulp Fiction in ein glaubhaftes Psychodrama zu wenden.

Ihre Ermittlerin Kathrin Bischof leidet offensichtlich unter Wahnvorstellungen. „Paranoia erotika“, diagnostiziert die ältere Schwester, die günstigerweise Psychologie studiert hat – ungünstigerweise aber auch in die Experimente des Militärs verwickelt ist und zudem noch Bischofs Ehemann (Herbert Knaup mit Kunsthaar auf der Glatze) sehr nahe steht. Und tatsächlich lässt sich Ermittlerin Bischof allzu oft von ihrer Angst leiten. So stürmt sie Hotelzimmer und stört Gäste beim Sex, weil sie ihren Mann beim Fremdgehen wähnt. Oder sie fährt während einer Eifersuchtsattacke mit dem Auto ins Wohnzimmerfenster ihres Eigenheims.

Ist die Frau krank – oder hat sie einfach nur ein gutes Gespür? Wie es sich für einen amtlichen Paranoia-Thriller gehört, entwickelt sich die pathologische Schwäche der Heldin zur eigentlichen Stärke. Denn Angst und Schmerz sind manchmal ein verdammt guter Antrieb, um eine Welt zu verstehen, aus der Angst und Schmerz eben mit allen Mitteln getilgt werden sollen.

Und so schlägt sich die Simon in „Fürchte dich nicht“ (Regie: Christiane Balthasar, Buch: Dirk Salomon und Thomas Wesskamp) durch ein Gewaltszenario, in dem die Täuschungsmanöver der Gegner mal perfide und mal plump daherkommen. Pulp Fiction auf höchstem Niveau, bei der man sich trotz aller Unübersichtlichkeit zumindest auf eine Sache verlassen kann: Traue niemals einem Mann mit Toupet!